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Vorurteil und Wahrheit
Die Chinesen sind an allem schuld
Von Christoph Hein
Auf die Chinesen lässt sich leicht einschlagen
[15. Juni 2008] Neulich in Peking. Ich machte den Fehler, aus dem Fenster meines Hotels zu schauen. Und was sah ich? Nichts. Alles grau. Suppe. Bitterfeld. Ruhrpott. Vom neuen China keine Spur. Kein Vogelnest-Stadion. Kein Kaiserpalast. Der Turm des Staatsfernsehens schraubte sich ins Nichts. Wo war es, das glänzende China, das die Olympischen Spiele ausrichtet?
Verschwunden hinter einer Wand aus Smog, der erbärmlich in der Lunge stach. 50 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele stuft selbst die Pekinger Umweltbehörde die Luftqualität der Hauptstadt als „gefährlich“ ein. So undurchdringlich die schwefelige Glocke über der Stadt hing, so sorgte sie doch für Klarheit. Denn deutlich wie selten sah man, wie ein Land wächst und sich dabei auffrisst.
Die Litanei vom bösen China
Wem in Peking der Atem wegbleibt, der ist offener denn je für die Litanei vom bösen China. Sie geht so: Die Volksrepublik produziert 80 Prozent der Eisschränke, alle Klimaanlagen, die Schuhe, Fernseher und T-Shirts dieser Welt. Übrig bleiben verseuchte Seen, saure Böden, dicke Luft. Dabei verbraucht die viertgrößte Wirtschaftsnation der Erde mehr und mehr Rohstoffe.
Um seine wachsenden Bedürfnisse zu sichern, fördert China Gas in Burma, schlägt Tropenholz in Kambodscha, verbündet sich mit Afrikas Diktatoren. (Serie: Chinas Außenpolitik) Mit diesen Rohstoffen fertigt China Produkte wie Hundefutter, Zahnpasta oder Kinderspielzeug, die für den Benutzer tödlich sein können. Weil sich aber mit der Billigfertigung trefflich Geld verdienen lässt, werden die Chinesen immer reicher. Gleich, ob in China heute noch mehr als 300 Millionen der Ärmsten leben, die Entwicklungshilfe gehört deshalb gestrichen. Wer mehr Geld hat, verbraucht freilich nicht nur mehr Sprit, sondern isst auch mehr Schnitzel. Deshalb steigen rund um die Erde die Preise für Getreide, Fleisch und Milch. Nun dämmert es: China ist an allem schuld.
Ist China an allem schuld? Oder sind es nicht eigentlich wir, die diese Schuhe anziehen, diese Eisschränke mit Bier beladen, mit diesen Fernsehern die Europameisterschaft gucken? Und das alles für wenig Geld, denn „Geiz ist geil“. Zwar muss der chinesische Wanderarbeiter für 300 Euro im Monat schuften. Aber abends vor der Tagesschau klagen wir über die miserable Lage der Menschenrechte im Reich der Mitte.
Alte Feindbilder
Auf niemanden lässt sich so fabelhaft einschlagen wie auf die Chinesen. Dank der Globalisierung ist es inzwischen ganz gleich, wo auf der Welt es brennt – in irgendeiner Form wird China schon beteiligt sein. Afrikanische Despoten lenken keine Weltmacht. Indische Politiker sind zwar bestechlich, aber Demokraten. Und Amerika führt Angriffskriege und foltert, aber es weist der Welt den rechten Weg. China indes macht falsch, was nur falsch zu machen ist.
Seine Regierenden sind verknöcherte Parteibonzen, korrupt bis ins Mark. Sie lachen schemenhaft, winken steif, und zum Mittagessen verspeisen sie Dissidenten. Es ist dieses alte Feindbild, es ist diese Sinophobie, es ist der schnell dahergesprochene Satz von der „gelben Gefahr“, die immer dann abgerufen werden, wenn etwas schiefläuft.
Wenn Hollywood-Diva Sharon Stone von Karma schwadroniert, welches als Antwort auf die Tibet-Krise das Erdbeben über die Chinesen habe hereinbrechen lassen, springt sie nicht nur ins Fettnäpfchen. Der Satz der Schauspielerin unterstreicht die Wahrnehmung des Westens – China, die Ausgeburt des Bösen, von Gottes Hand gestraft. Dass das Land – geführt von derselben Partei – Hunderte von Millionen Menschen aus bitterster Armut befreit hat, fällt da leicht unter den Tisch.
Boykottieren und brüskieren?
Angesichts von Olympia fordert Elke Heidenreich den umfassenden China-Boykott: „Mit solch einem Land verhandelt man nicht – das boykottiert man, das brüskiert man, Schluss, aus. Ich verstehe überhaupt nicht, wenn irgendwer dorthin fährt.“
Wahr ist, dass die Idee Olympia an der Chinesischen Mauer gescheitert ist: Angekündigt als Methode, Peking zu mehr Offenheit zu zwingen, führte sie nur zu einer perfideren Art der Unterdrückung. Ganz anders aber klingt Jürgen Hambrecht: „Jetzt reicht’s“, ruft der Vorstandsvorsitzender von BASF – Hauptinvestor im Reich der Mitte – sowie amtierender Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Dann schlüpft er in die Rolle des Anwalts der Kommunistischen Partei und liest China-Kritikern die Leviten: „Niemand kann doch ernsthaft erwarten, dass China jetzt schnell einen Sprung in die Demokratie macht, wofür wir Deutsche Jahrhunderte gebraucht haben. Was ich erwarte, ist Respekt vor der Leistung und der marktwirtschaftlichen Öffnung der Chinesen seit 1989. China ist bemüht, Schritt für Schritt in die richtige Richtung zu gehen.“
Was sollen wir mit diesem Land nur machen? Da ermorden Chinas Sicherheitskräfte Tibeter, und die Welt ist empört. Ein paar Wochen später trifft das Land ein fürchterliches Erdbeben, Chinas Soldaten ringen Tag und Nacht um jedes Menschenleben, und die Welt leidet am Fernseher mit. Unterdessen deckt Peking in den UN Burmas Generäle, die ihr eigenes Volk krepieren lassen. Und während wir spenden für die Opfer des Bebens, nimmt die Unterdrückung der Intellektuellen vor den Spielen der Völkerverständigung noch zu. Wie mag es jenen erst danach ergehen?
Machtroboter zeigen Menschlichkeit
Es gibt nur ein China, das bebt und zittert, während es wächst, das schwankt und sich aufbäumt, das seiner eigenen Stärke nicht traut. Wie ein Pubertierender lässt es die Muskeln spielen, um tags drauf wieder um Nachsicht zu bitten. Auf Kritik reagiert es überaus gereizt, fühlt sich im Mark getroffen, ausgegrenzt, verletzt.
Dabei läuft viel schief in der Volksrepublik, die keine Republik ist und vom Volke nicht geführt wird. Das Elend, dass das Erdbeben über Sichuan brachte, war herzzerreißend. Aber es bot den Staatsmedien auch die Chance, die Fratze des am Tiananmen-Platz und in Tibet mordenden Pekings reinzuwaschen: Darunter leuchtete das mitleidige Antlitz der helfenden Partei.
„Euer Großvater ist jetzt da“, hauchte Ministerpräsident Wen Jiabao Erdbebenopfern zu, die er vor laufenden Kameras besuchte. Pekings Machtroboter zeigten Menschlichkeit. Unterdessen aber protestieren Bürger gegen die Korruption, die dazu führte, Billigbauten auf gestohlenem Land zu errichten, die unter den Stößen der Erde wie Kartenhäuser zusammenbrachen und die Menschen unter sich begruben.
China spaltet. Wenn, dann verläuft die Linie zwischen Sympathie für die Chinesen und Abscheu gegenüber einer allmächtigen Partei. Doch würde kaum ein Chinese diese Trennung unterschreiben. Und löste sich die Partei selbst über Nacht in Luft auf, fiele das Riesenreich in sich zusammen. So viel läuft schief, dass manche den nun seit Dekaden währenden Aufschwung für ein Potemkinsches Dorf halten.
Zwei Wahrheiten
Bricht nicht Chinas Bankensystem zusammen, so bricht die Umweltkatastrophe über das Land herein. Lässt sie noch auf sich warten, so dürften die Armen und Entrechteten zum Aufstand blasen. Abermillionen von Rentnern stehen mit leeren Händen da. Leiden sie still weiter, dann droht wenigstens die Revolution der studentischen Internetnutzer, die zensiert werden. Surfen die aber ohne Klagen, dann, ja dann, wird Peking zum Angriffskrieg auf Taiwan blasen.
Was aber, wenn gar nichts passiert? Wenn China mehr oder weniger friedlich weiter wächst? Wenn China schrittweise seinen Bürgern mehr Freiheiten gewährt? Wenn die alte Garde der Betonköpfe das Zeitliche segnet und junge Politikmanager folgen, die im Westen geschult wurden?
Selten deutlich wird die unterschiedliche Betrachtungsweise zwischen Ost und West beim Blick auf die Umweltstatistiken. Der Westen sagt, China stoße das meiste CO2 aus. Und er hat recht. Der Osten sagt, jeder Amerikaner verbrauche ein Vielfaches an CO2, verglichen mit einem Chinesen. Und auch er hat recht. Die gleiche Rechenart lässt sich mit der Todesstrafe aufmachen, mit Benzinverbrauch und Fleischverzehr. Auch beim Spielzeug gibt es zwei Wahrheiten. Die eine lautet, dass die Billigproduktion der Chinesen einige vergiftete Güter hervorbringt. Die andere aber lautet, dass die westlichen Konzerne ihre Qualitätskontrolle sträflich vernachlässigten.
Die Politiker Chinas und Indiens bestehen auf dem Recht ihrer Länder, dieselben Fehler zu machen, die der Westen gemacht hat und immer noch macht. Sie fordern dieselben Rechte beim Verbrauch begrenzter Güter und der Verschmutzung, die Amerikaner und Europäer für sich in Anspruch nahmen und nehmen.
Richtig aber ist, dass die Vorräte der Erde begrenzt sind. Eine zweite industrielle Revolution, die genau so viel Rohstoffe und Natur frisst wie die erste, kann sich die Welt nicht leisten. Erkennt China das aber nicht, wird es düster für alle.
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[ 本帖最后由 空气稀薄 于 2008-6-17 21:43 编辑 ] |
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