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Tibet-Expedition
Nazis auf dem Dach der Welt
DAS BUNDESARCHIV
Ein SS-Kommando mitGeheimauftrag im Himalaja? Was schwer nach Hollywood klingt, gab estatsächlich. SS-Chef Heinrich Himmler schickte 1938 eine NS-Expeditionnach Tibet - die Rasseforscher sollten bei dem Bergvolk nach den"Ur-Ariern" suchen. Von Christopher Peter und Jürgen Ritter
DenOberkörper zur traditionellen Begrüßung gebeugt, in den Händen einenbuddhistischen Gebetsschal - und auf dem Kopf einen Tropenhelm mitSS-Runen: So posierten deutsche Rasseforscher 1938 bei einerNS-Expedition ins bis dahin weitgehend unerforschte Tibet. Auf dem Dachder Welt sollte die Truppe aus Nazi-Deutschland Beweise für dieHerkunft der arischen Rasse finden. Der "Reichsführer-SS" HeinrichHimmler war überzeugt, dass sich im Himalaja überlebende "Arier" eineruntergegangenen, prä-antiken Zivilisation aus Atlantis über dieJahrtausende gerettet hätten. Als ein krudes Indiz für diese wirreTheorie musste das Hakenkreuz herhalten, im tibetischen Kulturkreisseit Jahrhunderten ein Glückssymbol.
Für völkische Esoterik hatte Himmler ein besonderes Faible. Schon 1935hatte er die Organisation "Ahnenerbe" gegründet. Das Ziel:"Wissenschaftliche Beweise für Ursprünge und Überlegenheit der arischenRasse" zu sammeln. Das "Ahnenerbe" wurde rasch zur Spielwiese fürSS-Akademiker wie den Untersturmführer, Zoologen und Ornithologen ErnstSchäfer. Der hatte sich durch seine Teilnahme an zwei amerikanischenTibet-Expeditionen 1931/32 und 1934-36 einen Namen als Tibet-Expertegemacht.
So galt Schäfer, der bereits 1933 in die SS eintrat und zumpersönlichen Stab Himmlers gehörte, als der richtige Mann, um in Tibetnach Spuren einer vorbuddhistischen indoarischen "Urreligion" zusuchen. Unter der Schirmherrschaft der SS und finanziert von derdeutschen Industrie organisierte Schäfer deshalb eine eigene deutscheTibet-Expedition unter explizit nationalsozialistischem Vorzeichen. Am21. April 1938 stachen Schäfer und vier Begleiter von Genua aus in denHimalaja auf.
Schweine-Mumien und getrocknete Schafe für die SS
Vor Ort untersagten die britisch-indischen Behörden der SS-Truppezwar die Einreise nach Tibet, doch Expeditionsleiter Schäfer gelang es,eine Einladung des tibetischen Ministerrats nach Lhasa zu ergattern.Stolz berichtete er nach Berlin, dass "die ersten Deutschen in derheiligen Stadt mit großer Wertschätzung empfangen wurden". Man habeeine Unzahl Geschenke, "wie getrocknete Schafe, Schweine-Mumien, Mehl,Reis, Pferdefutter und nahezu 1000 Eier" erhalten, zitiert derHistoriker Peter Mierau in seinem Buch "NationalsozialistischeExpeditionspolitik".
Expeditionsleiter Ernst Schäfer suchte für die DeutscheKriegswirtschaft nach geeigneten Getreidekörnern, Samen und einerrobusten Pferderasse für die Kriegswirtschaft. Zudem sammelte seineTruppe grundlegendes Material zur tibetischen Bevölkerung.Expeditionsmitglied Bruno Beger, SS-Obersturmführer und Anthropologe,vermaß auf der Suche nach Ariern fleißig die Schädel von Tibetern, nahmGesichtsmasken aus Gips ab und zeichnete Körperproportionen auf.
Anhand der Daten von rund 300 Tibetern diagnostizierte Beger, dass dieTibeter wohl irgendwie "zwischen der mongolischen und europäischenRasse" stünden und sich ein "arisches Rasseelement" vor allem noch imtibetischen Adel zeige. Insgesamt sah der Rasseforscher die Tibeter alseinigermaßen geeignet an, eine Art Partnervolk der Deutschen zu werden,wenn der "lähmende Einfluss des Buddhismus" zurückgedrängt werdenkönne. Nach einem "Endsieg" des Dritten Reiches könnten die Tibeter als"Bündnisrasse" immerhin eine herausgehobene Rolle spielen.
Das Reich im Tibet-Rausch
Was als rassisch verblendete Großgermanen-Schwärmerei begann, mündetemit erschreckender Logik in die Mittäterschaft am größtenMenschheitsverbrechen aller Zeiten: SS-Offizier Beger diente ab 1943 imNS-Vernichtungslager Auschwitz, wo er eine Skelettsammlung schaffenwollte, mit der er die angebliche Überlegenheit der nordischen Rassebeweisen wollte. 86 jüdische Häftlinge wurden dafür von ihm selektiertund ausdrücklich zu diesem perversen Zweck ermordet. 1971 verurteiltedas Landgericht Frankfurt am Main Beger wegen Beihilfe zu 86-fachemMord zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Ein befremdliches Urteilder deutschen Justiz, die ihm den Strafrest wegen "guter Lebensführung"erließ.
Bleibendes Zeugnis der Tibet-Expedition ist der Dokumentarfilm"Geheimnis Tibet", den die SS-Expedition auf dem Dach der Welt drehte.Die Uraufführung fand im Januar 1943 im Münchner Ufa-Palast statt.Nicht nur der berühmte schwedische Asien-Forscher und Nazi-SympathisantSven Hedin war begeistert - die Exotik des Himalaja faszinierte das vomKrieg langsam zermürbte Publikum und machte den Streifen an dendeutschen Kinokassen zu einem echten Schlager, ja verursachte im Reicheinen regelrechten Tibet-Rausch.
Mehr als 400 Publikationen nahmen das Thema der Dokumentation auf. Eswar der perfekte Propaganda-Coup: Tollkühne SS-Männer alsWissenschaftler und Forscher in geheimnisvollen fremden Landen auf derSuche nach den arischen Urahnen - kein schlechter Dreh, um an derHeimatfront Begeisterung für Eroberungen im Osten wach zu halten undzugleich die SS als pfundigen Abenteurerclub zu präsentieren.
SS-Partisanen für den Kampf im Himalaja
Der Film selbst projizierte alle NS-Klischees auf die Tibeter - diefriedliebende Seite des Lamaismus blieb außen vor, stattdessen starteteder Film mit einem tibetischen Kriegstanz. "Ihrem Kriegsgott beweisensie die höchste Kraft, Härte und Zucht", so der O-Ton. AuchTotenrituale, bei denen die Leichen der Verstorbenen von Geiernverzehrt werden, und vor allem das buddhistische Glückssymbol in derForm des Hakenkreuzes, das auch "das höchste und heiligste Symbol derDeutschen" sei, hatten es den Filmemachern besonders angetan. DasPropagandaministerium verlieh dem Tibet-Film denn auch alle Prädikate,die Nazi-Deutschland zu vergeben hatte: "Staatspolitisch wertvoll","künstlerisch wertvoll" und "Kulturell wertvoll".
Die Expedition hatte es noch rechtzeitig vor Kriegsbeginn in die Heimatgeschafft. Im August 1939 war sie auf dem Münchner Flughafen vonHimmler persönlich mit großem Tamtam empfangen worden. Schäfer hatte essogar zustande gebracht, den Regenten von Tibet für engere Beziehungenzwischen Berlin und Lhasa zu interessieren. Er erhielt einSendschreiben des Regenten Reting Rinpoche mit auf die Heimreise, worindieser erklärte: "Nehmen Sie nun, Euer Exzellenz, König Herr Hitler, zudiesem Verlangen nach gegenseitiger Freundschaft (...) unsereZustimmung."
Expeditionsleiter Ernst Schäfer erhielt für seine Verdienste den"Totenkopfring" der SS sowie den Ehrendegen des "Schwarzen Ordens". AufOrder Himmlers wurde die "Tibet- und Asien-Forschung" 1942 als"kriegswichtig" eingestuft - in der SS-Führung kursierten gar Pläne, 30SS-Männer mit Waffen unter Schäfers Befehl nach Tibet zu schicken, umdort Milizen für den Kampf gegen Britisch-Indien auszubilden. DiesePläne wurden bald aufgegeben, mehr als diplomatische Floskeln wurdenzwischen Berlin und Lhasa kaum ausgetauscht.
Das verzerrende Bild eines mit den Nazis sympathisierenden Tibetsallerdings wirkt bis heute nach. Braune Apologeten und rechtsgewirkteEsoteriker vereinnahmen bis heute die Tibeter, auf der anderen Seiteversuchen linke Ideologen, den Dalai Lama in die Nähe des Faschismus zurücken. In beiden Fällen wird eine fremde Kultur für eigene Zweckeeingespannt - und wie damals sagen solche Tibet-Beschreibungen mehrüber die Vereinnahmer selbst aus als über das Objekt ihrer Begierde.
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