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China und der Westen
Wie man einen Feind erzeugt
Von Mark Siemons, Peking DruckenVersendenSpeichernVorherige Seite
Studenten-Website aus China: anti-cnn.com
27. März 2008 Aus derTibet-Krise ist ein Kommunikationszusammenbruch zwischen chinesischerund westlicher Öffentlichkeit entstanden, den man fast schon einenKulturkampf nennen muss. Im Westen herrscht die Meinung vor, bei denunkorrekten, zum Teil manipulativen Darstellungen der tibetischenEreignisse durch einige Medien handele es sich bloß um handwerklicheFehler, die aber an der Gesamteinschätzung nichts ändern könnten. DieChinesen, die sich in Medienkritik üben, werden inInternetdiskussionen, auch in Deutschland, als „Regierungsclaqueure“oder gar als „gehirngewaschen“ beschimpft, da sie nicht zugleich aufdie chinesische Zensur und Medienabschottung hinwiesen und auch überdie Unterdrückung der Tibeter kein Wort verlören.
In Chinadagegen sind nicht nur Regierungskreise, sondern auch weite Teile derBevölkerung, soweit sie sich in Alltagsgesprächen und Internetforenäußern, von Grund auf über die westliche Behandlung des Themas empört.Wo Chinesen auf offener Straße erstochen oder erschlagen wurden und inihren angezündeten Häusern verbrannten, gebe der Westen das alschinesische Gewalt aus und solidarisiere sich mit den Mördern; ja, erverwehre es den Behörden dann auch noch, die Täter zur Verantwortung zuziehen. Könne es einen schlagenderen Beweis geben für dieVoreingenommenheit nicht bloß gegen den chinesischen Staat, sonderngegen die Chinesen selbst, und den Willen, ihnen übelzuwollen? VieleBlogger wundern sich über die Geschlossenheit des westlichenMeinungsbilds und scheuen ihrerseits nicht vor dem Etikett„Gehirnwäsche“ zurück.
Widerstand gegen den hegemonialen Diskurs des Westens
Eine von Studenten betriebene Website namens bbs.m4.cn,die es inzwischen schon auf die Titelseite der Staatszeitung „ChinaDaily“ gebracht hat, ruft Chinesen in der ganzen Welt dazu auf, von nunan Beispiele für die Manipulationen westlicher Medien zu sammeln. „Dasist ein Widerstandskampf gegen den hegemonialen Diskurs des Westens“,heißt es dort gut postkolonialistisch, um dann fast auf die Diktion vonBushs „Krieg gegen den Terror“ umzuschwenken: „Wir müssen uns darüberim Klaren sein, dass es ein langer, schwieriger und komplexer Kampfwerden wird.“
Zum Thema
Wenn beide Seiten einander der Gehirnwäsche bezichtigen, alsoverdächtigen, fremdgesteuert zu sein, scheint es für eine Verständigunggar keinen Boden mehr zu geben. Eine Website präsentierte unter derÜberschrift „Dummköpfe gibt es jedes Jahr, aber dieses Jahr besondersviele“ Fotos von westlichen Protestaktionen, Zettel mit der Aufschrift„China Stop killing Tibetans“, die an Terrakotta-Figuren im Museumheften, oder eine blonde Frau vor dem Brandenburger Tor mit dem Schild:„China – would you shoot me too?“ In einem nachdenklichen chinesischenBlog namens „Vergangene Kleinigkeiten an einer Tränke“ heißt es dazu:„Ich glaube nicht, dass diese deutsche Frau dem Dalai Lama hilft. Sieund ihre Freunde schaden ihm nur, weil sie dafür sorgen, dass eine Türgeschlossen wird, ohne eine Möglichkeit, sie wieder zu öffnen.“ Daseinzige Ergebnis sei, dass sich die Chinesen so schnell wie nie zuvorunter der nationalen Fahne sammelten, bereiter denn je, auf Rechte undFreiheiten zu verzichten, um weitere Verletzungen und Beleidigungen vonaußen zu vermeiden. Die Schlussfolgerung des Bloggers: „Diese Westlerhelfen nicht ihren Freunden. Sie helfen nur dabei, einen Feindentstehen zu lassen und ein asiatisches Waisenkind.“
Nationale Souveränität als Schutzschild
Dasses sich bei dieser Stimme keineswegs um einen „Regierungsclaqueur“handelt, zeigt sich schon daran, dass sie im Absatz zuvor ausführlichein Verständigungshindernis der chinesischen Seite benannte: diehistorisch tiefverwurzelte Idee der „großen Einheit“ von allem unterdem Himmel (tianxia), einer alten Umschreibung von China. „AlleGedanken, die man dieser Einheit nicht zuordnen kann, werden alsGedanken einer anderen Gattung angesehen. Entweder werden sie verachtetoder mit Gewalt auf Linie gebracht.“ Das Verlangen nach Einheit, vonder man Stabilität erwarte, sei eine Konstante der chinesischenGeschichte.
Ohne dass der Blogger das ausdrücklich sagt, magdieses Grundmuster in der Tat dazu beitragen, dass sich viele Chinesenso schwer damit tun, sich in die Perspektive etwa von Tibetern zuversetzen oder überhaupt von Leuten, die um universeller Prinzipienwillen diese Perspektive einnehmen. Im neunzehnten und zwanzigstenJahrhundert verschärfte sich dieses Grundmuster noch einmal, als Chinavon den westlichen Mächten, die es überwältigten, die Kategorie der„Nation“ übernahm. Seither sieht es in der „nationalen Souveränität“einen eifersüchtig gehüteten Schutzschild seines Selbstseins. DieEmpfindlichkeit gegen jegliche „Einmischung in die eigenenAngelegenheiten“ und die Neigung, Gründe für diese Einmischung als pureIdeologie anzusehen, sind nicht erst mit der Kommunistischen Parteientstanden, sondern waren schon die entscheidende Antriebskraft derdemokratischen „4.-Mai-Bewegung“ von 1919.
Manipulierte Westler
Auschinesischer Warte gibt es indessen auch im Westen ein Problem mit „demanderen“. Im Blog „Vergangene Kleinigkeiten an einer Tränke“ heißt esvon Westlern, die Chinesen für grundsätzlich unaufgeklärt undmanipuliert halten: „Sie beugen sich voller Selbstbewusstsein zu diesenarmseligen gelben Wesen herab und wollen ihnen eine helfende Handreichen. Sie wollen die Chinesen beraten und erziehen. Diese Westlerverkennen dabei, dass die Chinesen lebendige Menschen mit Gedanken undGefühlen sind. Wie könnte man ohne Gleichberechtigung und Respekt vongegenseitigem Verständnis sprechen?“
Damit deutet der Blogger einParadox des Menschenrechts-Universalismus an, das auch im Westenbisweilen diskutiert wurde und das nun mit voller Wucht aufzubrechenscheint: Auf der einen Seite will dieser Universalismus die Rechtejedes anderen als anderen (in einer Formulierung von Richard Rorty)schützen, wer auch immer und wo auch immer er sei; auf der anderenSeite ist er mit dem Anspruch konfrontiert, dass die Anerkennung desanderen auch die Anerkennung unterschiedlicher Interpretationenbedeuten soll, worin diese Rechte überhaupt bestehen.
Ein Gegner wir konstruiert
Undnoch eine Tücke steckt in der gegenwärtigen China-Kritik. Zum einensetzt sie die Existenz eines immer enger verflochtenen globalenDiskursraums voraus, in dem man sich über die allen gemeinsamenGrundprinzipien verständigen kann. Zum anderen aber sendet sie vermehrtdie Botschaft aus: Wir wollen euch ausstoßen. Im Verlangen nach einemOlympiaboykott steckt ja der kaum verhüllte Wunsch nach einerIsolierung des Landes, nach der Konstruktion eines klar umrissenenGegners. Im chinesischen Internet mehren sich zurzeit die Stimmen, diedas begrüßen: Wenn ihr nicht kommen wollt, dann bleibt doch weg!
Esbedarf keiner umständlichen geopolitischen Erörterung, um zu erkennen,wie fatal eine solche Entwicklung wäre. Nicht von ungefähr hatausgerechnet der Dalai Lama, der über die chinesische Regierungspolitikkein Blatt vor den Mund nimmt, die Olympischen Spiele in Peking mit demArgument verteidigt, die Chinesen könnten mit Recht stolz auf sichsein. Die Achtung vor dem Volk ist durch die politische Kritik nicht inFrage gestellt. Durch die Pekinger Medienabschottung ist die Lage nunverfahrener denn je. Wem es mit der Beachtung universeller Prinzipienin der grausam zerrütteten tibetischen Region ernst ist und mit seinerKritik gehört werden will, sollte bestrebt sein, das kommunikativeDesaster zwischen China und dem Westen aufzulösen, statt es noch weiterzu verschärfen.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: http://bbs.m4.cn/
[ 本帖最后由 Nicolle 于 2008-10-19 23:26 编辑 ] |
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