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[文化] 【2010.9 法兰克福汇报】Kölner „Ring“ in Shanghai(连载至第6篇,见7楼)

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发表于 2010-9-15 23:22 | 显示全部楼层 |阅读模式
注:此文为连载,不止一篇,认领的话请注明是领哪一楼,O(∩_∩)O谢谢

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Mime und Alberich proben im Parkhaus

Mit mehr als 300 Opernleuten und 30 Containern ist die Kölner Oper nach China gereist, um dort den kompletten „Ring“ aufzuführen. Über die Abenteuer dieses Gastspiels berichtet Elke Heidenreich in einem Tagebuch.

15. September 2010

Etwa vor einem Jahr fragte die F.A.Z.: Ist Schanghai das Herz des 21. Jahrhunderts oder das Babel unserer Zeit? Fazit des Artikels war: Auf jeden Fall ist es Zivilisation im Zeitraffer, „eine Fortschrittsphantasmagorie aus Stein und Stahl“ (siehe auch: Das Glück kennt keine Wehmut). Wohin also würde Wagners Wotan mit seinem Walhall besser passen als nach Schanghai? Und da ist er jetzt, zum ersten Mal, mit der Kölner Oper, die hier in den nächsten Wochen zweimal den gesamten „Ring“ aufführt. Es soll ein Kulturbeitrag zur Expo sein, und es ist viel mehr. Es ist ein Spiegel, eine apokalyptische Warnung, ein Bild dafür, wohin Maßlosigkeit, Größenwahn und Verrat, Ausbeutung, Etwa vor einem Jahr fragte die F.A.Z.: Ist Schanghai das Herz des 21. Jahrhunderts oder das Babel unserer Zeit? Fazit des Artikels war: Auf jeden Fall ist es Zivilisation im Zeitraffer, „eine Fortschrittsphantasmagorie aus Stein und Stahl“ (siehe auch: Das Glück kennt keine Wehmut). Wohin also würde Wagners Wotan mit seinem Walhall besser passen als nach Schanghai? Und da ist er jetzt, zum ersten Mal, mit der Kölner Oper, die hier in den nächsten Wochen zweimal den gesamten „Ring“ aufführt. Es soll ein Kulturbeitrag zur Expo sein, und es ist viel mehr. Es ist ein Spiegel, eine apokalyptische Warnung, ein Bild dafür, wohin Maßlosigkeit, Größenwahn und Verrat, Ausbeutung, Betrug führen: geradewegs in den Weltuntergang der Götterdämmerung.

Man darf gespannt sein, wie die Chinesen diese Geschichte aufnehmen. Aber erst mal gilt es, sie auf die Bühne zu stellen, und wer das nicht gesehen hat, kann sich kein Bild von diesem gigantischen Unternehmen machen. Mehr als 300 Opernleute sind nach Schanghai geflogen: Solisten, Chor, Orchester, Techniker, Schneiderinnen, Garderobieren, Requisiteure, Maskenbildnerinnen, Dirigent, Intendant, ein komplettes Büro - und ich, als Chronistin. Dazu dreißig Container mit dem Bühnenbild der Inszenierung von Robert Carsen und Patrick Kinmoth, will heißen: das Feldlager des Hunding mit seinen Kalaschnikows, Zelten, einem Jeep, die große Halle Wotans mit Kamin und Riesenmobiliar, der Rhein mit seinem Schrott und seinem Gold, die Schmiede im Reich des Alberich, Brünnhildes Feuerberg und viel wilde Landschaft einschließlich Weltesche und Schwert Nothung.
Es heißt immer erst mal: geht nicht

Die Gewehre sind Attrappen, aber den Chinesen kommen sie hochgefährlich vor, sie werden von Männern mit echten Waffen in einem geschlossenen Raum bewacht und nur zu den Proben mit Genehmigung ausgegeben. Horst Sülzen, Ende fünfzig, sein halbes Leben schon Chef der Ausstattung, ist jeden Ernstfall gewohnt und durch nichts zu erschüttern. Deutsche Schäferhunde bewachen Hundings Lager.

Geht nicht, sagen die Chinesen, da nehmen wir Statisten im Hundekostüm, und Feuer auf der Bühne geht gar nicht, da können doch rote Seidenbänder im Wind flattern. Es heißt immer erst mal: geht nicht. Schließlich kommen zwei harsche chinesische Polizisten mit großen deutschen Schäferhunden an straffen Leinen. Die Hunde in Köln hießen Otto und Geisha und fraßen uns Leberwurst aus der Hand. Die hier heißen Eddy und Kleines Schwarzes, und keiner traut sich in die Nähe.

Dann kamen die Instrumente doch noch an

Später bei der Generalprobe zu „Walküre“ sind die Polizisten auf der Bühne gehemmt, die deutschen Schäferhunde aber lugen neugierig in den Orchestergraben, stellen die Ohren hoch und blühen bei Wagners Klängen sichtbar auf. Feuer geht immer noch nicht, alles Pyrotechnische liegt noch beim Zoll. Die Chinesen kennen Outdoor-Später bei der Generalprobe zu „Walküre“ sind die Polizisten auf der Bühne gehemmt, die deutschen Schäferhunde aber lugen neugierig in den Orchestergraben, stellen die Ohren hoch und blühen bei Wagners Klängen sichtbar auf. Feuer geht immer noch nicht, alles Pyrotechnische liegt noch beim Zoll. Die Chinesen kennen Outdoor-Feuerwerk, aber auf der Bühne? Niemals. Sülzen grinst. Wird schon. Er bleibt dran.

Wotan hat Jetlag, die neue Brünnhilde eine Krise, weil sie die Inszenierung nicht kennt, Sieglinde isst Apfelmüsli, Fricka steht kampfbereit in Chanel, und Siegmund geht zum Erstaunen kleiner zarter Chinesen hünenhaft im Kampfanzug mit Springerstiefeln, viel Theaterblut am Körper, mit einem Kaffee durch die Straße vorm Theater. Die Schneiderinnen nähen für chinesische Statisten auf alten Singer-Nähmaschinen, die man schnell im Museum holte. Im Parkhaus nebenan probt die Spielleiterin mit Mime und Alberich Hassszenen, denn im einzigen Probenraum üben die Chinesen. Die Generalprobe geht verspätet los, die Bühnentechnik funktioniert nicht, weil alles mit Walkie-Talkie gemacht wird und kostbare Zeit verbraucht, die Dirigentenmonitore wurden vergessen, aber dafür kamen die Instrumente Stunden vor der Generalprobe doch noch an, und nun erblüht oben im Schrottlager zarte Liebe zwischen Siegmund und Sieglinde. Es wird ernst.
发表于 2010-9-16 22:30 | 显示全部楼层
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 楼主| 发表于 2010-9-19 13:35 | 显示全部楼层
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Siegfried muss ohne Feuer schmieden

Die Bühnenblitze sind noch beim Zoll, die zerborstenen Baumstämme aus der Requisite hätte man doch nicht extra einfliegen müssen: Elke Heidenreich hat Wagners „Ring“ aus Köln nach Schanghai begleitet. Ein Abenteuer. Ein Tagebuch.

15. September 2010

Immer noch liegen dreihundert Kilo Feuerwerkskörper beim störrischen chinesischen Zoll. Heute musste Siegfried sein Schwert Nothung ohne Feuer schmieden und musste Brünnhilde einfach so wachküssen, ohne vorher durch den Feuerring zu schreiten. Morgen wird Götterdämmerung geprobt. Wie soll denn die Welt am Ende brennend untergehen, wenn die Feuerwerkssachen nicht da sind?

Intendant Laufenberg ruft, genauso bockig wie der Zoll: „Gut, dann machen wir es eben konzertant!“ Aber Horst Sülzen, Chef der Requisite, weiß: Das wird schon. Er vertraut fest auf den Weltuntergang.

Krankheiten bitte rechtzeitig voraussagen

Eike Ecker richtet das, was Robert Carsen damals in Köln inszeniert hat, mit neuen Sängern in Schanghai für die Bühne ein. Sie erklärt Siegfried, wo er seinen Rucksack hinschmeißen soll, und Brünnhilde, wie lange sie auf dem Schlachtfeld still liegen muss, bis Siegfried sie dann endlich mal wachküsst. Die Chinesen staunen: Ach, das sind wirklich vier ganz verschiedene Abende? Das hatte man so nicht erwartet. Siebzig Prozent der Eintrittskarten sind verkauft. Herr Wu tröstet augenzwinkernd: Das werden mehr! Wenn nicht, schlägt er vor, setzen wir eben die Armee rein. Armee zum Weltuntergang – passt doch. Eine Eintrittskarte für einen Abend kostet etwa 240 Dollar. Die Chinesen, die beim Auf- und Abbau helfen, verdienen am Tag etwa sieben Dollar.

Deng Xiaoping sagte vor dreißig Jahren: „Reich werden ist ehrenhaft.“ Nun sind einige sehr ehrenhaft, und andere schlafen auf dem Flur vorm Dirigentenzimmer, wo es ruhig ist. Der Dirigent singt nicht. In der Mittagspause lerne ich, mit Stäbchen zu essen, und esse Undefinierbares. Mir darf nicht schlecht werden, die anwesenden Ärzte bitten, Krankheiten rechtzeitig vorauszusagen, denn sie müssen dann erst Medizin im Krankenhaus holen. Im Theater dürfen keine Arzneien lagern. Wir überlegen, wann wir Kolik, Grippe und Blasenentzündung nehmen.

Draußen in der Stadt würde Siegfried das Fürchten schon lernen

Mime und Alberich, auf der Bühne Brüder und Todfeinde, sind im wahren Leben enge Freunde, fast Brüder. Mime wohnt in einem schmuddeligen Wohnwagen mit lauter Müll drumrum. Hier hat er Siegfried großgezogen, auf einem Platz im Wald mit 21 zerborstenen Baumstämmen, die in Containern aus Köln anreisten. All dieser Schrott musste durch den Zoll. Was haben die sich gedacht? Die Deutschen transportieren kaputte Natur nach China; das hat man doch hier reichlich! Ai Weiwei macht aus so was Kunstwerke!

Siegfried will das Fürchten lernen, und vom Schnürboden herunter schwebt ein riesiger Abrisskran: Fafner, der (natürlich nicht feuerspeiende) Drache. Fafner sehen wir in Schanghai täglich, in jedem alten Stadtviertel schlägt er zu. Hier hätte Siegfried viel zu tun und würde das Fürchten schon lernen. Das aber lehrt ihn erst Brünnhilde. Eine Frau! Was macht man mit der? Er weiß nicht, dass das eigentlich seine Tante ist, die seiner Mutter bei der Geburt half. Seine Tante also, und gut 25 Jahre älter.

Auf ein Bier mit der Göttin

Trotzdem: Die Liebe schlägt ein, und wir hören es in der Musik. Das umwerfende, bei all den Desastern niemals aufmuckende Gürzenich-Orchester unter Markus Stenz zaubert in diesem chinesischen Wirrwarr so, dass Weltende, China, Zoll und Schrottplatz weit weg sind. Nichts geht unter, alles heilt. Das macht Musik. Und Wotan kommt nach Hause, nach Walhall, wo alles verrottet und verfällt, und weiß: Er ist abgesetzt. Er ist alt, müde und elegant: Anzug, Hut, graues Haar, Stock. Hinterher sitzt da ein junger Mann mit Zopf und lacht. Ich brauche immer eine Weile, um Mensch und Rolle auseinanderzukriegen.

Später trinke ich ein chinesisches Bier mit Fricka, die heute freihatte von ihrer grässlichen Götterfamilie, und mit Brünnhilde, die herrliche Kunststücke und Rätsel kennt. Im Fernsehen läuft so etwas wie „Wetten dass ...?“ und heißt, so sagt man mir: Wollen Herausforderung? Wenn wollen Herausforderung, dann machen Wagners Ring in Schanghai. Dann haben Herausforderung. Morgen also Weltuntergang ohne Feuer. Das kann werden schöne Herausforderung.
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 楼主| 发表于 2010-9-19 13:36 | 显示全部楼层
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Von hier wird der Tsunami kommen

Am dritten Tag ihrer Opernexkursion nach Schanghai besucht Elke Heidenreich die „Götterdämmerung“. Fast hätte die Premiere nicht stattfinden können, denn das Feuerwerk lag beim Zoll. Am Ende wurde der Weltuntergang doch noch freigegeben.

17. September 2010

Von meinem Hotel zur Oper in Schanghai dauert es mit Taxi oder Shuttle schon mal vierzig Minuten. Direkt vorm Hotel: eine U-Bahn. Ja, die Zwanzig-Millionen-Stadt Schanghai hat vor zehn Jahren mit dem Bau einer funktionierenden U-Bahn begonnen, liebe Kölner. Ihr habt Euer Teilstückchen, auf dem schon das Stadtarchiv einstürzte, etwa zur Zeit des Dombaus gestartet. Während der Dom schon wieder bröckelt, ist das Teilstückchen immer noch nicht fertig: Von Chinesen lernen!

Vielleicht auch dies: In den Metrostationen stehen Automaten, aus denen man jede Art Arznei bis hin zur Empfängnisverhütung ziehen kann. Mit Rempeln, Knuffen, Umsteigen komme ich wirklich nach zwölf Minuten an der Oper an, wo es eine Pressekonferenz gibt. Vertreter von Stadt, Oper und Geschäftswelt bedanken sich, etwas verwirrt über die Gigantomanie des Unternehmens „Ring“. Nicht ohne Zweifel, sagt der Operndirektor, habe man das Wagnis begonnen. Werden die Chinesen siebzehn Stunden Musik annehmen, ohne dabei zu telefonieren?

Nur Nebel auf der Bühne, für die Illusion

Die Kölner Truppe verbreitet Euphorie und fordert die Liebe zur Kunst ein. Hinter mir flüstert einer aus dem Team: „Hoffentlich geht das schnell mit dieser PK, wir brauchen die Stühle.“ Horst Sülzen nutzt die Gunst der Stunde und mahnt das Feuerwerk an, das immer noch beim Zoll liegt. Anschließend: Generalprobe „Götterdämmerung“, eben ohne jenes Feuer, in dem am Ende Siegfried, Brünnhilde, das Ross Grane und die ganze Welt verschwinden. Nur Nebel auf der Bühne, für die Illusion.

Aber während die schmuddeligen Rheintöchter in all ihrem Müll noch auf Siegfried einsingen, rauscht die Kunde durch die Reihen: Der Zoll hat den Weltuntergang freigegeben, bei der Premiere wird es brennen und krachen! Sülzen grinst. Hatte er doch gewusst! Der zwanzigköpfige chinesische Ersatzchor, der die vierzig morgen erst aus Deutschland anreisenden Sänger bei dem, was Wagner „Die Mannen“ nennt, unterstützen soll, steht nicht auf der Bühne, sondern sitzt im Zuschauerraum. Der Chorleiter singt leise vor, wann welche Einsätze wären. Sie bekommen zum ersten Mal einen Eindruck davon, was eigentlich passiert. „Heil dir, Gunther! Heil dir und deiner Braut!“, sollen sie singen, aber es klappt nicht. Sie scheinen fassungslos angesichts des Spektakels und dessen, was da aus dem Orchestergraben donnert. Brünnhilde verwickelt sich oben im Kleid und stürzt fast, ein Walkie-Talkie platzt dazwischen, und alle lachen, als Gutrune singen muss: „War das sein Horn?“

China hat nicht aufgeholt, es hat längst überholt

Die Geschichte steuert auf ihr Ende zu – die Riesen-Immobilie Walhall verfällt, die Götter sind gestürzt, die Gier nach dem Gold tobt bis zuletzt und reißt alle in den Orkus. Und das mitten in Schanghai, wo jeden Morgen neue Hochhäuser stehen, die am Abend zuvor doch noch gar nicht da waren, oder? Diese Stadt hat längst die apokalyptischen Ausmaße, die Wagner auf die Bühne gebracht hat. Eine neue Welt boomt in die alte hinein, und die heimische Angst vor Muslimen wirkt lächerlich: Von hier wird der Tsunami kommen. China hat nicht aufgeholt, es hat längst überholt. Wotan, Gunther, Siegfried, die Walküren – weg damit. Erda, das Wissen der Welt? Pah. Ändert sich täglich. „Trauernder Liebe tiefstes Leiden schloss die Augen mir auf: Enden sah ich die Welt“, heißt es am Ende einer früheren Fassung der „Götterdämmerung“. Und Alberich bringt im „Rheingold“ die Formel für Kapitalismus auf den Punkt, als er über das Gold, den Macht verheißenden Ring flucht: „Wer ihn besitzt, den sehre die Sorge, und wer ihn nicht hat, den nage der Neid.“ Wird denn, mal naiv gefragt, alles gut, wenn die Macht des Goldes gebrochen ist? Ach was. Es wiederholt sich doch, eben wie ein runder Ring, und am Schluss der lange dunkle Des-Dur-Akkord: dreiundzwanzig Takte in den Abgrund.

Wir aber gehen Frühlingsrollen essen und trinken dazu nach deutschem Reinheitsgebot gebrautes Tsingtau-Bier. Herr Wu bestellt das ganze anwesende Team – an die dreihundert Leute – zum Gruppenfoto, auch halbgeschminkte Götter schlurfen dazu aus den Garderoben.
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 楼主| 发表于 2010-9-19 13:38 | 显示全部楼层
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Alles Schrott! Alles kaputt!

Die Requisiten zu „Rheingold“ landen um ein Haar auf dem Müll, werden aber noch rechtzeitig vorher zu Kunst erklärt. Doch wie soll man das einem chinesischen Arbeiter klarmachen? Eindrücke vom vierten Tag von Elke Heidenreichs Shanghaier Opernreise.

18. September 2010

Also, liebe Chinesen, da lasst ihr den ganzen Feuerwerkskram für den Ring tagelang nicht aus dem Zoll, und dann gebt ihr ihn frei und lagert ihn bei der Oper in einem windigen Holzschuppen direkt neben dem Müll, leicht einzudrücken für jedes Schulkind, an der Tür ein weißes Papier mit Handschrift: versiegelt am 13. 9. Dafür das ganze Theater?

Innen proben sie die ersten Flammen auf Brünnhildes Felsen und haben zum Glück daran gedacht, rasch noch die Feueralarmanlage auszuschalten. Viele solcher Beinahe-Katastrophen: Beinahe hätten die Arbeiter, die die Container auspacken, die Bühnenrequisiten zu Rheingold weggeschmissen. Alles Schrott! Alles kaputt! Rostige Badewannen, alte Autoreifen, verbogene Fahrräder, weg damit! Horst Sülzen, der Retter aus der Requisite, erklärt: nein, alles Kunst! Wir Rheinländer sind eben an der Fettecke geschult. Das Gerümpel liegt im Vorspiel zu Rheingold auf der Bühne, Spaziergänger am Rheinufer werfen achtlos Zeitungen, Bierflaschen, Müll dazu. Ein Bild unserer Welt, wie sie sich uns auf der täglichen Fahrt zur Schanghaier Oper ja auch zeigt: zwischen glitzernden Hochhäusern letzte kleine alte Häuschen, halb verfallen, mitten im Schutt.

Wie soll ein chinesischer Arbeiter darin Kunst sehen? Aber ein chinesischer Arbeiter wird auch nicht in diese Oper gehen können, außer er arbeitet da. Die Kostümmeisterin ist verzweifelt: Sie schlafen im Flur und kuscheln sich gegen die kalt blasende Klimaanlage in die Bühnenkostüme. Sieglindes Anorak, Hundings Kampfjacke, Frickas Stola, Wotans Mantel, alles prima Decken für chinesische Wanderarbeiter. Auch da der vergebliche Versuch des Übersetzers: Das ist KUNST! Damit kann man sich nicht einfach warm zudecken!

Der Irrsinn nimmt kein Ende

Bei der Generalprobe zu Rheingold geht außer im grandiosen Orchester alles, alles schief. Falsche Vorhänge, falsche Auftritte, Freia rauscht in den Bühnenboden davon, anstatt heruntergefahren zu werden, ratlose Statisten, die dem tot daliegenden Fafner auf die Füße treten, worauf der zurückzuckt und wieder lebendig wird. Sollte das bedeuten, der böse Fluch wirkt doch nicht, Fafner lebt? Nein, es war nur Blödheit. Alles, was Eike Ecker so genial-naiv als Ringerzählung in Strichmännchen aufgemalt hat: umsonst, wehe, wehe. Die vierzig, fünfzig chinesischen Statisten torkeln ziellos über die riesige Bühne. Das sieht jetzt doch ganz anders aus als im Probenraum oder im Heizungskeller. Neugierig lehnen sie an der Wand und schauen zu, sollen aber furchterstarrt vor Alberich im Staub liegen. Der Übersetzer saust auf die Bühne, erklärt. Gut, legen sie sich hin, aber die Köpfe kommen wieder hoch: Man sieht ja sonst nichts! Eine Meldung erreicht uns: erster Zyklus Ring zu 90 Prozent verkauft! Und da sackt Alberich in der Generalprobe die Stimme weg, und Wotan hat eine Allergie – muss man jetzt Ersatz einfliegen? In ein Land, das Wochen braucht, um ein Visum zu vergeben?

Diese Nacht wird durchtelefoniert, Ersatzsänger, Flüge, Visa, Hotel. Der Irrsinn nimmt kein Ende, ich will darüber schreiben, aber China beschließt: einen Tag lang kein Netz. Jetzt, in der Nacht, rauscht es wieder herein, und ich wollte eigentlich noch etwas über die Sprache sagen: Wagners Deutsch versteht hier wohl keiner, es gibt chinesische Obertitel und darunter eine Übersetzung im Bühnenenglisch des 19. Jahrhunderts – „What tales of evil fancies tellest thou, sad man, to me?“ Du liebe Güte, wer soll da noch durchblicken, „knowst thou what’ll hap?“ „Weißt du, wie das wird?“, raunen die Nornen. Und ich schwöre es: Während ich dies schreibe, geht über Schanghai ein riesiges Feuerwerk los. Haben sie nun doch das Opernhaus mit unseren Weltuntergangsfeuern in die Luft gesprengt? Ich geh’ noch mal an die Bar, andere sind da und hatten den gleichen Gedanken, können mich aber beruhigen. Einer, der ein chinesisches Lexikon hat und übt, bestellt schließlich die Rechnung, zhàngdan. Man bringt ihm Zahnstocher, yàqian.

Alles nicht so ganz einfach hier.
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 楼主| 发表于 2010-9-20 23:58 | 显示全部楼层
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Ein Menschenleben in Chinas Bauboom? Pah!

Der „Ring“ der Kölner Oper ist in China angekommen. Der chinesische Beckenboden ist für Wagner noch nicht trainiert. Und Brünnhilde hat es mit dem Rücken. Der fünfte Tag von Elke Heidenreichs Operngastspiel in Shanghai.

Zwischen der letzten Generalprobe und der ersten Premiere ein freier Tag für alle. Auf der Expo besuche ich das geschmacklose Etwas, das Deutschland repräsentieren soll – sie zeigen allen Ernstes Taubenschlag und Gartenzwerge. Ich schäme mich entsetzlich und verbringe einige Zeit in diesem Gruselkabinett damit, den Besuchern zu sagen: „This is not Germany, german culture you can see tomorrow in the opera house.“

Das Theater, 1600 Plätze, ist am ersten Abend fast voll. Nach der Generalprobe, bei der alles derart schief ging, läuft Rheingold reibungslos, nicht zuletzt deshalb, weil Spielleiterin Eike Ecker in jedes Statistenkostüm schlüpft – sie ist Bauarbeiter, Nibelung und Maid und gibt auf der Bühne leise die Kommandos für die chinesischen Statisten. Der Komponist Tan Dun ist da, ebenso die Chefs der Philharmonie China, der Shanghai Opera und des Hongkong Music Festivals, einige Europäer und vor allem: viele Chinesen, sehr junge. Es ist still, sie fotografieren zwar, aber sie telefonieren und schwatzen nicht, sie hören gebannt zu. Und dann, nach einer halben Stunde: Etwa dreißig bis vierzig stehen auf, gehen und kommen nach drei Minuten wieder – sie waren auf der Toilette. Offensichtlich wussten sie nicht: Rheingold, zweieinhalb Stunden, keine Pause. Das wiederholt sich nach jedem Bild. Man sollte in Shanghai Seminare für Beckenbodentraining anbieten.

Wotan und Loge rauben Alberich den Ring, der Macht statt Liebe verspricht. Eben noch huschte Horst Sülzen mit einem Marmeladenglas voller Ringe über den Flur; es gibt sie in verschiedenen Größen, für jeden Darsteller passend. Soviel Fluch und Untergang – für ein Marmeladenglas voller Ringe! Die ungeheure Anspannung der letzten Wochen, jetzt fällt sie ab, einige aus dem Team weinen, und das Orchester unter Markus Stenz spielt so, wie man sich den Himmel vorstellt. Am Ende donnernder Applaus, wie ein Aufschrei: der „Ring“ der Kölner Oper ist in China angekommen.

Wotans Gesetz und Chinas Vorbild

Der Chor aus Köln reist an. Der Fahrer, der sie abholt, steht mit einem Motorteil in der Hand am Flughafen: Auto kaputt. Es dauert, bis das nächste kommt. Neuankömmlinge regen sich noch auf, wir schon längst nicht mehr. Aber auch wir sehen doch leicht irritiert kurz vor Beginn der Walküre Spielleiter Benjamin Schad mit Brünnhilde auf einem Teppich knien, er zerrt an ihr herum, und sie ruft: „Mehr! Mehr!“ Sie hat’s am Rücken.

Am Abend ist das Haus restlos voll. Das chinesische Publikum ist so gebannt, dass es nach jedem Akt fast explodiert, und der Schlussbeifall kommt noch in die letzten Takte hinein – man hält die emotionale Spannung einfach nicht mehr aus. Auf der Bühne klappt alles, um Brünnhilde lodert ein echtes, helles Feuer, ein starker Eindruck. So stark, dass ein junger Chinese mit Herzrasen ins Krankenhaus muss. Die Walküre kommt mir vor wie ein einziger großer Familienkrach: Frickas Eifersucht nötigt Wotan, Siegmund zu vernichten, die Walkürentochter ist nicht folgsam, Geschwister lieben sich widernatürlich. Wie in Shanghai präsentiert sich uns in Walhall eine starke Oberfläche der Macht, aber alle alten Familienstrukturen zerfallen, die Gesellschaft ist letztlich ohne Rechte, Werte, Würde – keine Wurzeln mehr, kein Wachsen von alt nach neu, nur noch fragwürdige Zukunftsversprechungen. Wotans Gesetz ist Wotan, Chinas Vorbild ist China. Wotan bietet den Riesen als Bezahlung zunächst Freia an, die Schwester seiner Frau. Ein Menschenleben? Pah. Ein Menschenleben in Chinas Bauboom? Pah.

Als wir vom Team die Treppe in die Bürokatakomben hinuntergehen, kommen uns die chinesischen Statisten entgegen, Tränen in den Augen, und bei jedem von uns verbeugen sie sich und klatschen. Nichts, nichts verbindet Menschen so wie die Kultur, vor allem die Musik. Wer erklärt das den Politikern, die immer noch glauben, an der Kultur zuerst sparen zu können?
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 楼主| 发表于 2010-9-24 13:55 | 显示全部楼层
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Weltdesaster: Die Souffleuse brennt!

Wagners Musik versöhnt das Unversöhnbare: Nach zehn Tagen stundenlanger Wagner-Dröhnung in Schanghai fühlt sich Elke Heidenreich durchlässig. Und glücklich. Der Kraftakt, den „Ring“ der Kölner Oper in einem so fernen Land auf die Bühne zu stemmen, ist gelungen.

21. September 2010

Am Abend vor der Oper eine seltsame Szene: Zwei Männer wollen händeringend einen dritten daran hindern, in „Siegfried“ zu gehen. Der Dritte ist jener, der nach der „Walküre“ mit Herzrasen in die Klinik musste. Er soll, erzählt man, mit dem Ruf „Heute Siegfried!“ erwacht und davongestürmt sein. Nun fürchten sie um sein Leben! Müssen sie nicht. Mit „Siegfried“ geht es ja vergleichsweise freundlich los. Am Ende allerdings, klagen die Techniker, braucht der vierzig Minuten, um die Frau richtig wachzukriegen! Heute ist es so voll, dass noch Stühle dazugestellt werden müssen und die ersten Schwarzmarktkarten kursieren.

Jeden Abend donnernder Applaus, nur einer buht immer: bei jedem Sänger, beim Orchester, beim Dirigenten: buh, buh, buh. Der sitzt siebzehn Stunden Musik ab, um persönlich Richard Wagner fertigzumachen. Den knöpf ich mir morgen vor und erzähle ihm von der Kölner Stadtverwaltung, die auch nicht begreift, was für ein Weltklasseorchester sie hat, und die in dumpfer Provinzialität das alles hier gar nicht ahnt. Buh, buh. Und dann empfehle ich dem Buhmann und den Kölner Kultur-Ignoranten, doch mal in Schanghai in den schönen Zhuozhengyuan-Park zu gehen, den „Garten des bescheidenen Beamten“, ein bisschen aufs Gras zu blicken und nachzudenken.

Der Besserwisser aber schäumt

Den Besserwisser, der mir zu jedem Text schreibt, was ich alles falsch mache, können sie gleich mitnehmen. Zu sechst sitzen wir mit vier Laptops in einem winzigen Kellerbüro ohne Fenster, da kann man schon mal Fafner und Fasolt verwechseln, zumal, wenn die Seele so aufgewühlt ist. Der Besserwisser aber schäumt. Buh, buh. Wir genießen unsere chinesische Mehrfachsteckdose, aber bei der „Götterdämmerung“ müssen wir sie leider wieder abgeben, sie wird in der Maske für die Lockenwickler gebraucht. Schön soll die Welt untergehen.

Bei „Siegfried“ brennt die Souffleuse an, sie muss zu dicht am Scheinwerfer stehen. Wir sind jetzt alle ziemlich runtergefahren, die Anspannung war und ist riesig, nur Horst Sülzen ist gelassen wie immer. Nachher, sagt er, proben wir schon mal den Regen. Wasser im Theater! China sagt nein, Horst Sülzen schafft es, dass es beim Weltuntergang ordentlich regnet. Gegen Sülzen hat China keine Chance. Wenn die zweite Staffel des „Rings“ in Schanghai durch ist, fährt die Oper mit „Don Giovanni“ nach Peking. Da, sagt Sülzen, haben sie jetzt schon die Waffen beschlagnahmt, mit denen im „Giovanni“ gedroht und gemordet wird. Sollen sie doch. Er hat einen Neffen in Peking, der hat schon im Supermarkt Plastikpistolen besorgt.

Im „Ring“ geht es jetzt nur noch bergab

Ich sitze für einen Augenblick hinten auf der Weltesche und atme durch. Zehn Tage die stundenlange Wagner-Dröhnung macht durchlässig. Und glücklich. Was für eine Kraft in dieser Musik, was für ein Kraftakt, das alles in einem so fremden, fernen Land auf die Bühne zu stemmen, und wie viel Leidenschaft, Begeisterung, Dankbarkeit schlägt den Künstlern jeden Abend entgegen – von den Chinesen, die eine Kulturrevolution erleiden mussten und diesen „Ring“ zum ersten Mal in ihrer Stadt sehen und hören. Das ist jede Anstrengung wert. Im „Ring“ geht es jetzt nur noch bergab, Weltuntergang ab 17.30 Uhr: die Götter entthront, der Schicksalsfaden gerissen, Brünnhilde betrogen, die Welt schlittert ins Desaster. Viel Publikum kommt zu spät, man muss länger arbeiten, aber es wird auch der allerletzte Platz besetzt, und wir sind nicht mehr in Schanghai; wir sind irgendwo, wo die Musik uns hinträgt und uns rettet vor dem Zerfall, dem wir zusehen. Wagners Musik versöhnt das Unversöhnbare.

Todmüde im Taxi zum Hotel: Der Fahrer ohrfeigt sich selbst und schlägt ständig mit dem Kopf aufs Lenkrad, um wach zu bleiben. An jeder Ampel schläft er ein und wird durch Hupen geweckt. Tag, Nacht, geregelte Arbeitszeit, gibts nicht. China boomt 24 Stunden am Tag. Götterdämmerung.
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