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Warum es naiv ist, arme Länder vorschnell zu demokratischen Wahlen zu zwingen. Ein Zwischenruf von Paul Collier.
Wir leben in einer Zeit , in der sich Wohlstand in vielen Weltregionen ausbreitet, die früher arm waren. Warum aber kommt dieser Prozess in manchen Ländern einfach nicht in Gang? Als eine Ursache dafür gilt in der Politikwissenschaft „bad governance“, schlechte Staatsführung - also ein Regime, das sich seinen Bürgern gegenüber nicht verantwortlich fühlt. Und als Heilmittel: die Demokratie. Wahlen abzuhalten wird zur Voraussetzung für Entwicklungshilfe gemacht.
Aber führt dies in jedem Fall zum Ziel? Zusammen mit meiner Kollegin, der Wirtschaftswissenschaftlerin Anke Höffler, habe ich den statistischen Zusammenhang zwischen Demokratisierung und wachsendem Wohlstand untersucht. Für den Zeitraum von 1975 bis 2004 haben wir Daten aus 155 Ländern verglichen; haben Wahlergebnisse, Parteiensysteme, die Kriterien für eine Wahlberechtigung und andere Freiheitsindikatoren mit der Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens in Beziehung gesetzt. Das Ergebnis stellt die bisherigen Annahmen nicht auf den Kopf, zwingt aber zur Differenzierung: Denn ja, natürlich gibt es Tyranneien, die ihre Bürger ausplündern. Aber es gibt auch autokratische Regime, die einer breiten Bevölkerung Wohlstand verschaffen. Und ja, selbstverständlich gibt es demokratische Staaten, deren Regierungen eine gute Entwicklung voranbringen. Aber es gibt auch Demokratien, die sich in Populismus und Vetternwirtschaft verstricken. Die Unterscheidung „Demokratie = gut, Autokratie = schlecht“ ist nicht fein genug.
Unsere Daten legen außerdem einen verstörenden Befund nahe: Die Bedingungen, unter denen Demokratien überhaupt funktionieren, kann eine „wohlwollende“ autokratische Regierung unter Umständen besser herstellen als eine unreife Demokratie.
Wir haben lange geglaubt, dass schon Wahlen als solche einer Bevölkerung das Gefühl vermitteln, von einer legitimierten Regierung vertreten zu werden. Für Gesellschaften, die gespalten sind, stimmt diese Annahme aber nicht. Im Irak, zum Beispiel, akzeptieren die Sunniten keine Regierung der zahlenmäßig stärkeren Schiiten - egal, wie eine Wahl ausgeht. Es fehlt eine nationale Identität. Wie auch in Kenia: Während der Wahlen 2007 gaben dort 40 Prozent der Luo-Bevölkerung an, dass sich die wirtschaftliche Lage unter Präsident Kibaki verbessert habe. Aber nur jeder zwanzigste Luo hat ihn auch gewählt. Denn Kibaki gehört zum Volk der Kikuyu. In derart heterogenen Gesellschaften werden die Erfolge eines Präsidenten für andere Volksgruppen von diesen nicht honoriert.
So liegt es nahe für ihn, seine eigene Volksgruppe zu bevorzugen, wenn er wiedergewählt werden will. Andererseits gibt es Beispiele für Autokraten, die unter ihren Bürgern eine gemeinsame Identität zu schmieden versuchen. In Tansania hat Präsident Nyerere einst ethnische Feindschaften durch Bildung und Symbolpolitik aufgelöst. In Indonesien hat es der Autokrat Sukarno mit ähnlichen Mitteln geschafft, aus Tausenden Inseln eine Nation zu formen. Naiv ist auch die Erwartung, dass junge Demokratien ihre Wahlen in der Regel halbwegs fair abhalten. Wahlzettelfälschung, Bestechung oder Einschüchterung werden offenbar schneller gelernt als zivile Regeln. Beispiele: die Wiederwahlen von Hamid Karzai in Afghanistan und Robert Mugabe in Simbabwe. Ohne eine bereits vorher funktionierende Gewaltenteilung sind Wahlen oft nicht mehr als eine Farce, selbst wenn man sie quasi über Nacht organisieren kann – oder vielleicht gerade deshalb.
Falsch war auch die Hoffnung, dass Wahlen eine Regierung automatisch disziplinieren, sodass sie eine Wirtschaftspolitik verfolgt, von der möglichst viele Bürger profitieren. Denn während gewählte Finanzminister oft erfolglos gegen alte Eliten anregieren, haben es Autokraten einfacher, deren Widerstand zu überwinden. Präsident Kagame aus Ruanda etwa hat, mit sehr viel Druck, Reformen erzwungen, durch die das ressourcenarme Land ohne Zugang zum Meer zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Afrikas aufgestiegen ist – was die Chancen auf eine zukünftige echte Demokratisierung verbessern dürfte.
Schließlich stimmt auch die Gleichung „Demokratie = Festigung des Friedens nach einem Krieg“ nicht in Reinkultur. Freie Wahlen gelten zwar als Voraussetzung für den Rückzug von Friedenstruppen. Unser Vergleich von 74 „Nachkriegssituationen“ hat aber gezeigt, dass bei Wahlen nach einem Konflikt in armen Ländern die politische Gewalt, gemessen an Opferzahlen, sogar zunimmt. Wie in Timor-Leste. Frieden hängt in solchen Fällen davon ab, ob Macht geteilt wird. Südafrika wurde nach Ende der Apartheid gut zwei Jahre lang von einer „Regierung der Nationalen Einheit“ regiert, an der alle großen Parteien beteiligt waren. Ein kluges Vorgehen. Denn in Staaten ohne demokratische Tradition müssen sich Prinzipien wie der Schutz der Oppositionsrechte erst entwickeln. Eine zu frühe Wahl kann zu einer Diktatur der Mehrheit entgleisen - wenn diese ihren Wahlsieg nutzt, eine Minderheit nach Belieben zu dominieren. Beispiel dafür: Burundi nach seinem Bürgerkrieg.
Wo wirkt Demokratie stabilisierend? Nach unserer Analyse in entwickelteren Gesellschaften, in denen das Jahreseinkommen 2700 US-Dollar pro Kopf übersteigt (was nur in 43 Prozent der Länder der Fall ist). Die Ziele des Westens für Entwicklungsländer sind daher richtig, nur fehlt es an Differenzierung. Es ist falsch, den am Ende schnellen demokratischen Wandel in Osteuropa als Blaupause für Entwicklungsländer zu nehmen: Osteuropa war relativ wohlhabend, kannte demokratische Traditionen aus vorkommunistischer Zeit, und die Europäische Union diente als Vorbild. Auch Indiens Demokratie ist ein Sonderfall: Trotz noch verbreiteter Massenarmut verfügt das Land über derart viele gebildete Bürger, dass sich schon früh ein Markt für anspruchsvolle Medien bilden konnte. Mit ihnen wuchs der Wunsch nach politischer Teilhabe - und verfestigte sich das Verständnis davon, dass Regierungshandeln sich, selbstverständlich, vor einem Volk zu legitimieren habe.
Für arme Länder, die nicht von solch günstigen Sonderfaktoren profitieren, könnte dagegen eine Phase „wohlwollender Autokratie“ nützlicher sein auf dem Weg zur Demokratie, wenn als deren Basis zunächst einmal gilt, ein Volk aus der Armut zu befreien und gewisse Standards in Bildung und Forschung zu etablieren. Das chinesische Regime als „wohlwollend“ zu bezeichnen, dürfte zwar schwerfallen, solange es die freie Meinungsäußerung brutal unterdrückt. Immerhin aber steht es für das schnellste Programm zur Reduzierung von Massenarmut in der Geschichte der Menschheit.
Es gibt weitere Beispiele von sich langsam entwickelnden Demokratien. Südkorea etwa hat eine autokratische Phase durchgemacht, mit schlimmen Menschenrechtsverletzungen. Und mit fundamentalen Wirtschaftsreformen, die wiederum zu schnellem Wachstum führten – und zu einem Wohlstand, der automatisch den Druck erhöhte, den Übergang zu einem demokratischen Rechtsstaat zu vollziehen. Wir sollten zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass auch Regime wie jene in Ruanda oder Uganda, auch wenn sie demokratischen Anforderungen längst nicht genügen, den Weg einschlagen, den Südkorea genommen hat. Und dass, wenn der Westen allzu kompromisslos demokratische Prozesse erzwingt, die Entwicklung solcher Länder durch die oben skizzierten Mechanismen sogar ausgebremst werden kann.
Auch für die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs war es nach 1945 alles andere als entscheidend, in Deutschland und Japan als Erstes Wahlen abzuhalten. Der Weg zu demokratischer Partizipation verlief stufenweise; Parteien und Kandidaten wurden sorgfältig überprüft. Die Strategien dazu wurden von einer Generation entworfen, die ihre Naivität durch bittere Erfahrung verloren hatte. Die Naivität heutiger Weltpolitiker hingegen zeigt sich in Irak und Afghanistan. Der Westen hat dort eine Wahl nach der anderen verordnet. Die Ergebnisse sprechen leider für sich.
Paul Collier leitet an der Universität Oxford das Forschungszentrum für afrikanische Ökonomien. Sein Buch "Gefährliche Wahl: Wie Demokratisierung in den ärmsten Ländern der Erde gelingen kann" ist im Siedler Verlag erschienen. |
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