本帖最后由 小明啊 于 2011-12-6 09:19 编辑
【原文标题】China: Wir sind alle Staatskapitalisten
【原文链接】http://www.zeit.de/2011/47/Kapitalismus-Ferguson/komplettansicht
【时间及作者】2011.11.23, Niall Ferguson
Die Skyline von Shanghai
Wer erinnert sich noch an den Stamokap? Ich begegnete ihm zum ersten Mal, als ich Student war. Damals, in den Tagen, als es die DDR noch gab, fielen mir hin und wieder die Arbeiten marxistisch-leninistischer Historiker aus Ost-Berlin in die Hände. Sie schrieben vom Staatsmonopolistischen Kapitalismus. Großes Lesevergnügen bereiteten diese Bücher nicht, doch steckte in ihrem ideologischen Unterboden der Charme des Kuriosen.
Um die deutsche Katastrophe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verstehen, so erklärten diese ostdeutschen Historiker, müsse man die Prinzipien des Stamokap begreifen, die auf die Arbeiten sozialistischer Theoretiker wie Karl Hilferding zurückgingen. Die These: Bereits lange vor 1914 habe der deutsche Kapitalismus durch die Konzentration des Eigentums in der Schwerindustrie monopolistische Tendenzen aufgewiesen. Zwar nahm diese Tendenz während der zwanziger Jahre etwas ab, die Entstehung des faschistischen Staates aber müsse gleichbedeutend mit dem Triumph des Stamokap in Deutschland gesehen werden.
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Gemeinsam mit dem Trabbi, grauen Plastikschuhen und all den anderen sonderbaren Produkten des »real existierenden Sozialismus« verschwanden diese Thesen nach 1989. In meinem Bücherregal wurde der Stamokap von Werken wie Francis Fukuyamas Das Ende der Geschichte verdrängt, in dessen Erstausgabe der Autor wenige Monate vor dem Fall der Berliner Mauer den »schamlosen Sieg des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus« ausrief. Fukuyama nannte es »den Triumph des Westens« und war sich sicher, dass die Menschheit kurz davor war, »den Endpunkt der ideologischen Evolution zu erreichen«, an dem sich westliche liberale Demokratien als die höchste Form der gesellschaftlichen Ordnung etablieren würden.
Im Zentrum von Fukuyamas These stand die Verknüpfung von politischer und wirtschaftlicher Freiheit. Seine liberale Demokratie war erklärtermaßen eine kapitalistische Demokratie. Wie er sagte, »die einzige Alternative für technologisch fortgeschrittene Gesellschaften«. In einer Zeit, als der erste Internetboom beste Werbung für die innovativen Kräfte der amerikanischen Marktwirtschaft machte, schien diese These geradezu verführerisch. Damals galt auch der »Washingtoner Konsens« als Rezept für wirtschaftliche Reformen auf der ganzen Welt. Ein zehn Punkte umfassender Wunschzettel für die Amerikanisierung der Weltwirtschaft. Ganz oben stand die Verhängung staatlicher Haushaltsdisziplin. Der Abbau, wenn nicht die Abschaffung von Staatsschulden. Die Steuerlast sollte breiter gestreut, die Steuersätze sollten gesenkt werden. Welthandel und Kapitalströme sollten liberalisiert werden. Als die Länder Asiens 1997 von einer Finanzkrise heimgesucht wurden, beklagten amerikanische Kritiker prompt die Mängel des orientalischen »Klüngel-Kapitalismus«.
Ist der autoritäre Staat tatsächlich der Schlüssel zu Chinas Erfolg?
Wie anders die Welt heute aussieht. Die jetzige Finanzkrise hat scheinbar bewiesen, auf welch tönernen Füßen der liberale Kapitalismus steht. Die Wall Street ist implodiert, und das einzige System, das den Nachhall anscheinend gut verkraftet, ist die staatlich gelenkte Wirtschaft der Volksrepublik China. Man könnte meinen, es sei Zeit für einen »Pekinger Konsens«.
Der amerikanische Politologe Ian Bremmer nennt dieses Nachfolgemodell des Stamokap den Staatskapitalismus. Ein System, wie er sagt, das von autoritären Regierungen in aller Welt erfunden wurde, um die Kräfte der Märkte auf unterschiedliche Arten auszunutzen. In diesem System erschließen Staatsbetriebe die Rohstoffe und schaffen viele Arbeitsplätze. Privatwirtschaftliche Betriebe dürfen nur bestimmte Sektoren dominieren, und Staatsfonds legen überschüssiges Kapital an. In diesem Fall dient der Markt dazu, Wohlstand zu schaffen – und der Staat benutzt den Markt als Machtmittel, die Überlebenschancen der politischen Elite zu sichern. Bremmer glaubt, dass diese Form des Kapitalismus, in der die Märkte dem politischen Machterhalt dienen, nicht nur eine Gefahr für die liberale Marktwirtschaft darstellt, sondern auch das demokratische System in vielen Schwellenländern bedroht.
Wie groß diese Gefahr wird, glaubt Bremmer, entscheiden die Chinesen. Der Internationale Währungsfonds geht davon aus, dass Chinas Bruttoinlandsprodukt in fünf Jahren größer sein wird als das der USA. Auch beim Pro-Kopf-Einkommen holt China schnell auf.
Doch stellt sich die Frage, ob der Staat tatsächlich der Schlüssel zu Chinas Erfolg ist. Sind es in Wahrheit nicht doch die Kräfte des Marktes? Wie die Antwort ausfällt, hängt davon ab, wo man hingeht. In Shanghai oder Chongqing zum Beispiel ist die chinesische Staatsmacht allgegenwärtig. In der Küstenstadt Wenzhou dagegen hat sich eine von Unternehmertum und liberalen Marktgedanken durchdrungene Wirtschaft entwickelt, die ihresgleichen sucht.
Sicher, die chinesische Volkswirtschaft wird weiterhin auf der Basis eines Fünfjahresplans gelenkt. Aber die chinesische Führung hat ein Problem, das mehr mit den Kräften des Marktes zu tun hat als mit zentralistischer Planung. Denn in China ist in den vergangenen Jahren eine Immobilienblase entstanden. Und während die Zentralbank die Zinsen heraufsetzt und ihre Reserven aufstockt, um die Kreditvergabe zu kürzen, floriert in Städten wie Wenzhou ein Schattenbanksystem, das Bauherren und Investoren mit Geld versorgt, um immer neue Apartmentblocks zu bauen.
Das bessere System verteilt geschaffenen Wohlstand gerechter
Wer sich mit chinesischen Ökonomen unterhält, der könnte auch den Eindruck bekommen, dass die Politik alles dafür tut, um den Staatskapitalismus abzuschaffen. »Wir müssen alle Staatsbetriebe privatisieren«, erklärte mir ein führender Ökonom bei einem Essen in Peking. »Und die Große Halle des Volkes auch.« Das habe er dem Präsidenten Hu Jintao höchstpersönlich gesagt, meinte er stolz.
Es ist ganz klar: Die Welt allein in den freien Markt und den Staatskapitalismus aufzuteilen ist ein grobe Vereinfachung, die nichts nützt. In Wahrheit gibt es in nahezu allen Ländern eine mehr oder weniger ausgeprägte Form von staatlicher Wirtschaftsintervention.
Zahlen des IWF ergeben, dass die chinesischen Staatsaus gaben bei rund 23 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegen. Von 183 Ländern liegt China damit auf Platz 147. In Deutschland erreichen sie 48 Prozent des BIP, und in den meisten Ländern Europas, wie Finnland, Italien, Belgien oder Ungarn, liegen sie noch drüber. Staatskapitalismus, so scheint es, ist kein asiatisches Phänomen, sondern ein europäisches. Dagegen führt China das Feld bei den Bruttoinvestitionen des öffentlichen Dienstes an. Laut Weltbank lagen diese im Jahr 2008 bei 21 Prozent des BIP. Im Westen dagegen sind diese Zahlen verschwindend gering. Hier ist der Staat kein Investor, der für Infrastrukturprojekte bezahlt, sondern für Dienstleistungen auf Pump.
Anstatt sich zu fragen, ob der Markt oder der Staat das Zepter führen sollte, müssen wir untersuchen, in welchem Land eine rechtliche Ordnung besteht, die das Wirtschaftswachstum nicht nur maximiert, sondern den Wohlstand, der daraus hervorgeht, auch gerecht verteilt. Das ist nicht einfach. Aber einen ersten Hinweis liefern Zahlen des World Economic Forum. In dessen Index der Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften sind die USA seit 2004 in der Skala von 5,82 auf 5,43 regelrecht abgestürzt. China dagegen hat einen großen Sprung nach vorne gemacht, von 4,29 auf 4,90.
Wir müssen also krasse Verallgemeinerungen über den Staatskapitalismus vermeiden. Als Begriff taugt er heute nicht besser als früher der marxistisch-leninistische Stamokap. Wir sind alle Staatskapitalisten, und zwar bereits seit über einem Jahrhundert, als der Staat begann, sich auszubreiten. Doch gibt es zahllose Arten des Staatskapitalismus. Das Spektrum reicht von der aufgeklärten Autokratie Singapurs bis zur funktionsgestörten Tyrannei in Simbabwe.
Es ist insofern falsch, von einem globalen Zweikampf der Systeme zu sprechen. Von Staatskapitalismus in China auf der einen und dem freien Markt in Amerika auf der anderen Seite. Die leidenschaftlichen Marktbefürworter von Wenzhou haben ebenso wenig für die Pekinger Parteibonzen übrig wie die Kontrahenten in der amerikanischen Haushaltsdebatte füreinander. Die einen wollen die Regierung radikal stutzen, die anderen am liebsten dänische Verhältnisse in Washington einführen. Und Europa? Es muss wohl niemand mehr darauf hingewiesen werden, wie groß der Graben zwischen Deutschland und Griechenland ist.
Übersetzung: John F. Jungclaussen
Das neue Buch von Niall Ferguson »Der Westen und der Rest« ist im Propyläen Verlag erschienen
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