Warum Menschen eine Diktatur verteidigenhttp://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,803969,00.html
Pro-Assad-Demo: Menschen neigen dazu, das System zu verteidigen, in dem sie leben
Von miserablen Ehen bis hin zu Diktaturen: Oft verteidigen Menschen jene Systeme, in denen sie leben - trotz schlechter Bedingungen. Jetzt haben Psychologen herausgefunden, unter welchen Umständen sie das tun.
Warum regt sich in China kaum Widerstand gegen die Repression? Wieso nehmen viele Studenten nicht an bundesweiten Protesten gegen die Hochschulreform teil, obwohl es auch um ihre eigene Zukunft geht? Auf solche Fragen suchen Psychologen seit Jahren Antworten.
Die Wissenschaftler Aaron Kay von der Duke University und Justin Friesen von der University of Waterloo haben jetzt Forschungsarbeiten der vergangenen Jahrzehnte analysiert und kommen dabei zu einem Fazit: Menschen neigen dazu, sowohl schlechtlaufende Ehen als auch ungerechte Systeme zu verteidigen. Aber sie tun das nicht automatisch.
Die Suche nach den Mechanismen des Aufbegehrens begannen die zwei Forscher von der entgegengesetzen Seite: Wie sie im Fachjournal "Current Directions in Psychological Science" berichten, untersuchten sie, was dazu führt, dass Menschen sich bestimmten Situationen anpassen.
Kay und Friesen identifizierten vier Umstände, unter denen Personen sich eher hinter ihre negative Lebenssituation stellen, als sie zu ändern oder sich dagegen zu wehren. Den Forschern zufolge machen sich Menschen immer dann für die Regierung, die eigene Universität, die Firma oder auch für ein Familienmitglied stark, wenn diese von außen bedroht oder kritisiert werden. Ebenso schützen Menschen jene Institutionen, von denen sie abhängig sind oder wenn sie dem System scheinbar nicht entfliehen können. Sie tun es aber auch dann, wenn sie das Gefühl haben, keine Kontrolle über bestimmte Lebensbereiche zu haben, wie etwa das Gesundheits- oder Schulsystem.
Die Bedrohung von außen
Wird die kleine Schwester von einem Klassenkameraden beleidigt, stehen die großen Brüder hinter dem Mädchen - selbst wenn sie das Geschwisterkind sonst nervig finden. Die Loyalität zu einem Familienmitglied lässt sich den Forschern zufolge auch auf Völker und ihre Regierungen übertragen.
Bestes Beispiel sei der Terroranschlag am 11. September 2001: Während Präsident George W. Bush kurz vor den Angriffen nur noch wenig Rückhalt in der US-Bevölkerung hatte und seine Umfragewerte bergab rasten, fanden die Amerikaner nach der Tragödie plötzlich nicht nur den Kongress und die Polizei besser, sondern auch den Präsidenten. Kein Einzelfall, wie Verhaltensexperimente zeigen: Wann immer Menschen auf Terrorgefahr hingewiesen wurden, oder eine Regierung diese aussprach, standen die Bürger mehr zu ihrer Regierung als zuvor.
Aber auch schon Kritik an dem Heimatland in Zeitungsartikeln reicht aus, um den defensiven Reflex bei Menschen zu aktivieren. Das Brisante dabei: Sind die Vorwürfe objektiv gerechtfertigt und eine Veränderung eigentlich notwendig, würden die meisten die Situation dennoch nicht wahrhaben wollen. Schließlich müssten sie sich eingestehen, dass die Situation, in der sie leben, nicht gut ist - eine Hürde, die für die meisten zu groß ist. Denn: Menschen haben das psychologische Bedürfnis zu glauben, dass ihr System effektiv und in seiner Form berechtigt ist, so Kay und Friesen in ihrem Report.
Abhängigkeit vom System, ohne Ausweg, machtlos
Ob jemand ein Institut oder gar die Regierung verteidigt und für gut heißt, hängt auch davon ab, wie sehr die Person auf die Institution angewiesen ist. Wenn Studienanfänger das Gefühl hatten, von ihrer Uni abhängig zu sein, verteidigten sie jegliches Vorgehen der Leitung - auch die unfaire Vergabe von Wohnheimplätzen.
Ebenso ist die bloße Empfindung, einer Situation nicht entfliehen zu können, genug Antrieb repressive Systeme zu unterstützen. Eine Studie von Kay macht das deutlich. Einer Probandengruppe sagte er, es würde leichter aus dem Land auszuwandern; der anderen, dass es schwieriger würde. Zusätzlich wurden die Teilnehmer über unfaire Verhältnisse im Land informiert. Anschließend sollten die Probanden angeben, wie sehr sie den Zustand des Landes unterstützen.
Probanden, die davon ausgingen, dass sie ohne Probleme das Land verlassen könnten, kritisierten dessen Zustand strenger, während die anderen die Verhältnisse eher als wünschenswert einstuften. In einer weiteren Studie bewerteten Studienteilnehmer die ungleichen Gehälter von Männern und Frauen im eigenen Land sogar als tatsächlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern, denn als Ungerechtigkeit der Firmen. Aber nur, wenn sie ihrem Land nicht so leicht entfliehen konnten.
Ähnliches passiert in so mancher Partnerschaft, wie eine andere Studie offenbarte. Frauen und Männer, die denken, sie könnten ihren Partner nicht verlassen, weil sie keinen alternativen Gefährte in Aussicht hätten, machen schlicht das Beste aus ihrer Situation. Sie geben sich Mühe und investieren viel hinein.
Vor allem in westlich geprägten Ländern wird die persönliche Kontrolle über das eigene Leben großgeschrieben. Wenn Menschen das Gefühl haben, nicht allein darüber verfügen zu können, neigen sie dazu, unkritisch ihre Regierungen zu unterstützen. Sie kaufen auch eher Produkte, die das eigene Land preist. So hat man etwa beobachtet, dass US-Amerikaner mit diesem Mangelgefühl T-Shirts mit der Landesflagge vorzogen.
Jetzt hoffen die Psychologen, auch bald zu verstehen, was Menschen aufbegehren lässt. Zwar könne man durchaus Theorien aus der bisherigen Forschung ableiten, geprüft wurden diese aber bisher nicht. Zudem ist dem Forscherduo zufolge die Studienlage dazu noch zu dünn. Die Studie des Forscherduos aber zeigt: Offenbar entsteht ein großer Teil der Unwilligkeit zum Aufbegehren und des Willens zur Anpassung im Kopf eines jeden.
jha
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