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发表于 2009-12-14 14:12
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【2009.12.13 法兰克福汇报】两(摄氏)度并不足够
Zwei Grad sind nicht genug
http://www.faz.net/s/RubC5406E11 ... ommon~Scontent.html
13. Dezember 2009 Der Vertreter der Eingeborenen des Amazonasbeckens trägt seine Gesichtsbemalung, den Perlenschmuck und die schmale, schwarzrote Federkrone, als er sich in der Tür zum Tagungsraum irrt. Plötzlich steht er in einer Gruppe von kahlgeschorenen Offiziellen des Himalaja-Königreichs Bhutan in kompliziert gewickelten Seidengewändern, Kniestrümpfen und kleinen schwarzen Slippern. Erschrocken verlässt der Amerikaner den Raum im Rückwärtsgang.
Es sind wirklich alle gekommen nach Kopenhagen, von den Gipfeln, aus den Tälern, von den Inseln und aus den Wüsten. Nicht nur die Regierungen: Auch Wissenschaftler, die Ansagen machen, und Nichtregierungsorganisationen, die das Tempo vorgeben. Gegenüber den Büros der Bundesrepublik Deutschland residiert, ebenso groß, der World Wild Fund. Ihr Panda blickt auf unser Neuschwansteinposter, auf Augenhöhe. Aus Science-Fiction-Filmen kennt man solche Szenen: dass sich die ganze Menschheit zusammentut, um einen Meteoriten oder den Angriff einer Ufoflotte abzuwehren. In Kopenhagen ist es jetzt soweit: Alle sind da, mit ihren Sorgen.
Mit Vorschlaghämmern
Da ist Ugyen Wangda aus Bhutan. Er zeigt die Bilder von zwei Gletscherseen, dem Thorthorni und dem Baphstreng Tro. Der eine liegt etwas höher; es trennt sie eine natürliche Fels- und Eismauer, die einst über 70 Meter maß. Heute ist sie nur noch 22 Meter hoch. Der höher gelegene See wird sich bald in den tiefer gelegenen See ergießen, der dann überlaufen wird ins Tal. Dort liegen ein Wasserkraftwerk, Dörfer und ein Heiligtum, die erste Hauptstadt des Königreichs. Alles würde versinken. Wie verhindert man die Katastrophe?
Man müsste das Becken des oberen Sees so erweitern, dass der Wasserspiegel nicht steigt. Aber Felsen über zwei Meter Höhe könnten nicht mit dem Vorschlaghammer zerkleinert werden, erklärt uns Herr Wangda. Und es werde dauern: Geröll werde in Körben abtransportiert, große Brocken mit Seilen bewegt, alles per Muskelkraft, wie beim Bau der Pyramiden von Giseh. Und: Buthan hat über zweihundert solcher Gletscherseen, die das Leben in den Tälern bedrohen.
Dafür hat Bhutan keine Industrie. Sie haben auch ihren Wald noch nicht verkauft. Sechzig Prozent des Königreichs, so befiehlt es die Verfassung, müssen von Wäldern bedeckt sein. Im Moment sind es siebzig Prozent. Dieses bitterarme Land könnte zehn Prozent seines Holzbestandes schlagen und verkaufen. Oder auch nicht, davon würde dann die ganze Welt profitieren, denn Wälder binden Treibhausgase.
In Kopenhagen geht es unter anderem auch um die Frage, wie viel Geld Bhutan dafür bekommen soll und von wem. Sie würden sich gerne "Micro hydro power houses" bauen, Mühlen zur Stromerzeugung. Doch das sei kompliziert, stöhnt Minister Daho Nado Rinchen, allein der Papierkram. Und wird das nicht immer so weitergehen mit dem Klimawandel? "Wir haben zum ersten Mal einen Tiger in fünftausend Meter Höhe gesehen. Niemand hielt das für möglich, aber wir haben ihn gesehen. Ich meine, wie hoch soll das arme Tier noch klettern müssen?"
Eine Wissenschaftlerin der Universität Stanford steht auf: Schön und gut sei der Plan mit den dezentralen Wasserkraftwerken, aber habt ihr ("you guys") auch eine Genderanalyse vorgenommen? Kurzes Tuscheln auf dem Podium. Der junge Energiefachmann in wallender Robe mit dem schönen Vornamen Karma nickt: "Ja Madam, haben wir. Umweltfreundliche Stromversorgung ist gerade für Frauen und Kinder eine große Verbesserung. Unsere Genderanalyse fiel daher positiv aus."
Vorlagen für den Glücksrat
Bhutan ist das erste Land der Welt, in dem das Bruttosozialprodukt durch ein Bruttoglücksprodukt ersetzt wurde. Auch darum ist der Saal voll besetzt. Jedem leuchtet dieses Konzept ein, das im Übrigen nichts Esoterisches an sich hat. Jede politische oder wirtschaftliche Entscheidung muss in Bhutan von einem Glücksrat begutachtet werden, der darüber wacht, ob sie mit Tradition, Umwelt, Entwicklung und der politischen Kultur des Landes übereinstimmt. Im Anschluss an die Präsentation lädt das Königreich, eines der ärmsten Länder der Welt, in rührender Großzügigkeit zum Imbiss, großes Gedränge von Journalisten und Aktivisten um Lachshäppchen und Muffins.
Es gibt poetische Momente in Kopenhagen und jene anderen, wenn es knirscht, weil sich die Machtachsen verschieben und etwas zu wirken beginnt. Denn drei unumkehrbare, unabweisbare historische Entwicklungen wirken sich hier aus: Die Wirtschaftskrise hat erwiesen, dass die G-8-Länder schon ihre Gelddinge nicht mehr alleine regeln können, geschweige denn sonst ein Problem. Der Klimawandel schreitet schneller voran, als selbst die pessimistischsten Vorhersagen es für möglich hielten; es kracht auf den Gipfeln, in den Tälern, tief im Meer und in den Wüsten. Und die Wissenschaft ist heute in der Lage, diese Schäden und Belastungen gut zu bemessen und zu beziffern, weltweit und in Echtzeit.
Noch etwas kommt hinzu: die Digitalisierung. Kopenhagen ist eine wissenschaftliche Tagung, ein politischer Gipfel und ein Festival, alles zugleich, und alle sind permanent online. Neben Text und Browser haben die meisten auf ihrem Schirm auch noch mehrere Chatfenster offen, ununterbrochen. Geheim bleibt hier nichts.
Chinesische Handzeichen
Wie in Kopenhagen Weltgeschichte geschrieben wird, bemerke ich, als mitten in der Pressekonferenz des smarten chinesischen Vizeaußenministers He Yafei plötzlich das Klicken aus Dutzenden von Fotoapparaten aufsteigt wie eine Wolke Insekten. Als ich aufblicke, sehe ich, dass He damit begonnen hat, beim Reden mit der rechten Hand sparsame Bewegungen zu machen: ausgestreckter Zeigefinger, abwehrende Handfläche nach außen, Einordnung mit der Handkante. Und jedes Mal flippen die Bildjournalisten aus. So kann man bestens die trockenen Berichte illustrieren: China sagt, China fordert, China möchte. He Yafei macht sich, fuchtelnd, ein Vergnügen daraus.
Die Chinesen sind weltweit die stärksten Emittenten von Kohlendioxid. Das Klima verträgt aber eigentlich überhaupt kein Kohlendioxid mehr, es ist längst zu viel. Wenn die Chinesen einfach weitermachen - was sie könnten, wer wollte ihnen schon etwas vorschreiben -, kippt das Weltklima in sehr kurzer Zeit, da sich die ungünstigen Prozesse bekanntlich immer wieder selbst verstärken und das Unheil nicht linear, vielmehr exponentiell voranschreitet. Sie haben in Kopenhagen die Chance erkannt, eine moralisch höherstehende Position einzunehmen. Sie haben ein einmaliges Reduktions- und Umrüstungsprogramm auf erneuerbare Energien und nachhaltiges Wirtschaften aufgelegt, im nationalen Alleingang und rechtlich verpflichtend, eingeschrieben in ihren zwölften Fünfjahresplan. Die Chinesen möchten, anders formuliert, den Westen nun auch an symbolischem Kapital übertreffen und übernehmen sogar noch die Rolle des Sprechers der Drittweltstaaten.
Gemeiosam mit Tuvalu
Manchmal wirkt das komisch. In Kopenhagen sorgt das bedrohte Archipel Tuvalu für Schlagzeilen. Die Bewohner Tuvalus kommen nämlich mit einer Erwärmung von zwei Grad nicht aus, das ist ihr Todesurteil. Sie bestehen auf 1,5 Grad als Ziel, sie drohen, dass sie den Gipfel verlassen werden, Aktivisten des Zusammenschlusses "350.org" skandieren "Tuvalu" wie einen Schlachtruf. Auf einem Pressebriefing zu Beginn der Woche aber hatte der chinesische Chefunterhändler treuherzig erklärt, China sei - bei gewissen Unterschieden - mit Tuvalu durchaus zu vergleichen, beide seien Opfer des Westens. Ein Brüller: der Inselstaat hat gerade mal so viel Fläche, wie die Schanghaier Stadtverwaltung braucht, um ihre Aktenregale aufzustellen. Aber niemand lacht, das Argument bleibt ja gültig: zweihundert Jahre lang hat der Westen alles alleine verpestet und den Gewinn daraus gezogen.
Daher geht es auf diesem Zukunftsgipfel auch um unsere Vergangenheit. Max Webers Einführung in die Aufsätze zur Religionswissenschaft, der Stolz darüber, dass sich bei uns entwickelt hat, was sich nirgends sonst entwickelte, Städte, Handel, Industrialisierung und der Rest, all dies hängt jetzt in der Luft, messbar und darum in einer Rechnung bezifferbar.
So ist zur Rettung des Planeten zweierlei nötig: dass die armen Länder darauf verzichten, sich mit fossilen Brennstoffen zu entwickeln, und dass die reichen zahlen. Die Verpflichtung der EU-Länder wirkt peinlich geizig: Man verlangt einen Entwicklungsverzicht der armen Länder bis 2050, stellt aber Geld nur für drei Jahre in Aussicht. Was die Reduktionsziele des Westens angeht, ergeben sich noch andere Fragen. Ist es, fragte ein chinesischer Beamter, denn gar kein Unterschied, ob man Energie verbraucht, um die Klimaanlage eines Fitnessstudios zu betreiben, oder ob Bauern ihr Essen kochen?
Eine verhuschte EU
In der ersten Woche sah der Westen in Kopenhagen schwach aus. Die amerikanische Delegation verteidigte sich matt damit, die Vorväter hätten ja gar nicht gewusst, dass sie das Klima schädigen. Die EU gab sich verhuscht, als wäre sie das Rote Kreuz der ganzen Welt, eine Art größere Schweiz mit etwas mehr Minaretten. Keine historische Analyse, keine symbolische Geste, alles nur mittelmäßige Reaktionen und "fahren auf Sicht", was wirklich fatal ist, wo es so viel um Eisberge geht.
Dabei ist es nicht so, dass Europa es nicht verstünde, sich zu kümmern. In einer ruhigen Ecke des Konferenzzentrums gibt es einen zwei Meter tiefen Pool mit gefiltertem, sauberem Wasser, in dem herrliche, ferkelgroße Koikarpfen leben. Eine Tafel belehrt, dass die Wassertemperatur auf konstant 22 Grad gehalten wird, damit die Fische sich nicht vermehren, und dass die Tiere eine spezielle Diät einhalten. Das Futter werde täglich um halb eins serviert, manche Kois hätten einen Wert von hunderttausend Dollar. Direkt daneben sitzen Repräsentanten der lateinamerikanischen Indios und mühen sich, eine Resolution zu schreiben, in der sie um ihr Überleben bitten.
An der Würstchenbude
Man braucht gute Nerven in Kopenhagen, so wie Frau Ammanda. Gleich ob der Botschafter von Mexiko oder der indische Chefunterhändler in der Schlange vor ihrem Wagen stehen, die freundliche Fünfzigjährige mit der Perlenkette bleibt bei der Sache, und das ist in ihrem Fall die Wurst. Einige Würstchen sind schon sehr dunkel, andere noch halb gefroren, das verlangt die ganze Frau - und es dauert. Egal, die Schlange hat immer gute Laune. Subsaharische Afrikaner scherzen mit Polen, Inder mit Vietnamesen, Belgier mit Russen.
Es ist dies vielleicht der fröhlichste Ort dieser ganzen ernsten Klimakonferenz. Die Würstchen, sicher ein Nebenprodukt der Raumfahrtforschung, sind rosa wie ein Schweinchen im Disneycartoon, aber sie trösten. Der Andrang lässt nicht nach, vierhundert Hotdogs in vier Stunden sind normal. Den beiden Jungen aus Zimbabwe schärft sie ein: "Wenn es euch nicht schmeckt, kommt ihr wieder, okay?" Die beiden lachen. Da sie so was noch nie gegessen haben, wissen sie kaum, wie man gute von schlechten Würstchen unterscheidet. Da fehlen ihnen, wie man in Kopenhagen sagt, schlicht die Benchmarks.
Text: F.A.S.
Bildmaterial: AFP, Daniel Pilar
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