|
http://www.faz.net/s/Rub0E9EEF84 ... ommon~Scontent.html
Seit Jahren ist China Mekka der Textilindustrie. Nun sind die Fabriken durch die Inlandsnachfrage ausgelastet und wollen sich dem Diktat der Ausländer immer weniger unterwerfen. Die suchen nun nach alternativen Standorten und müssen ihre Preise anheben.
Von Holger Appel und Christoph Hein
10. Juli 2010
Unser Mann kennt sich aus in China. Seit mehr als zehn Jahren ist er Einkäufer für einen großen deutschen Warenhauskonzern. In seinem Bestellbuch stehen Jacken, T-Shirts, Hosen - jeweils zu Hunderttausenden. Mehrmals im Jahr reist er für zwei Wochen in die Volksrepublik und verhandelt die Lieferverträge für die nächste Saison. Das Muster wiederholte sich über Jahre. Diesmal aber ist alles anders. Bislang war unser Mann ein hofierter Auftraggeber. Schließlich ist seine Abnahmemenge riesig, und die Auswahl unter den chinesischen Lieferanten war groß. Unser Mann, dessen Name hier nicht genannt werden darf, ist kein Unmensch. Er hielt seinen Lieferanten die Treue, sprang nicht ständig zum nächstbilligeren Anbieter. Er schätzt die lange Geschäftsbeziehung. Er nutzte das gegenseitige Vertrauen.
Heute ist dies der letzte Strohhalm, an den er sich klammert. Denn nichts ist mehr, wie es war. Statt zwei Wochen China hat unser Mann gleich noch Anschlussflüge nach Bangladesch, Vietnam und Indonesien gebucht. Denn im Sommer 2010 sitzen die chinesischen Lieferanten am längeren Hebel. Zwar leiden sie unter sprunghaft steigenden Lohnforderungen ihrer Arbeiter. Doch gleichen sie diese durch die rasch wachsende Nachfrage aus dem Inland aus. Unser Mann ist weiterhin gern gesehen. Geschäfte aber muss der chinesische Fabrikant mit ihm nicht mehr machen. Die Textilhersteller Chinas werden teurer. Und wählerischer. „Wir hören von den Chinesen immer öfter: Für euch im Westen machen wir doch nicht mehr den billigen Jakob“, fasst Eberhard Bezner, Vorsitzender des Beirats von Olymp, einem der führenden Hemdenhersteller Europas, die Stimmung zusammen. „Jeder in der Branche versucht im Moment, Produktion aus China in Länder wie Indonesien, Vietnam oder Bangladesch zu verlagern“, fügt er an.
Schlicht keine Lust, sich hohen Anforderungen zu stellen
Zwar bleibe China das wichtigste Land für Bekleidung, sagt Thomas Rasch, Hauptgeschäftsführer des Modeverbands German Fashion. Doch mache sich in der Branche Ernüchterung breit. Die Löhne in China stiegen, man brauche für jedes Geschäft einen Dolmetscher, die Mentalitätsunterschiede seien größer als gedacht, die Schwäche des Dollar und die Aufwertung des Yuan verteuerten die Ware, längst nicht mehr jeder Produzent in China sei auf die Aufträge aus dem Ausland angewiesen. Mancher Hersteller in China habe angesichts der starken Inlandsnachfrage zudem schlicht keine Lust, sich den hohen ökologischen und arbeitsrechtlichen Anforderungen zu unterwerfen, die europäische Hersteller stellten. Und zu allem Überfluss hat sich die Preisentwicklung für Baumwolle umgekehrt. Nach lange sinkenden Preisen verteuerte sich der Rohstoff im Jahresvergleich um fast 90 Prozent. Gründe hierfür gibt es mehrere, unter anderen eine geringere Ernte und neue Handelsbeschränkungen. Indien hat Mitte April ein Ausfuhrverbot für Rohbaumwolle verhängt, um - wie es heißt - den umfangreichen Export nach China zu unterbinden und die eigene Industrie zu schützen. „Das ist eine ziemlich unangenehme Mischung“, sagt der Verbandschef.
Die deutsche Industrie habe an den Handel schon das Signal gesendet, dass die Preise spätestens zum Frühjahr 2011 um 10 Prozent steigen werden. Da der Handel gewöhnlich mit einem Faktor von 1,5 bis 1,8 kalkuliere, müsse der Anzug- oder Hemdenkäufer also spätestens im Frühjahr knapp 20 Prozent mehr bezahlen. Falls sich der Preissprung am Markt durchsetzen lässt, was viele Fachleute freilich bezweifeln. Dann aber wird es die Gewinnmargen der Unternehmen erwischen. Rasch unterstreicht, dass es dabei keineswegs nur um Billigware gehe. „Auch die Nobelhersteller dieser Welt lassen in China fertigen. Den Chinesen fehlt Kreativität, die bringen wir ein. Aber sie können phantastische Qualität herstellen.“ Deshalb ist die Volksrepublik seit Jahren das Mekka der Industrie: Allein zwischen den Jahren 2000 und 2007 haben sich die Textilexporte Chinas auf fast 56 Milliarden Dollar mehr als verfünffacht. „Zieht man aber heute einen Auftrag zurück, scheint das hier keinen mehr zu scheren: Die Hersteller antworten nur, dass sie dann eben für heimischen Kunden arbeiten“, sagt Bezner.
Ausdruck eines tiefgreifenden Strukturwandels
Anspruchsvolle Sonderaufträge, die Mehrarbeit und höhere Qualität verlangen, seien derzeit in China praktisch überhaupt nicht mehr zu vergeben. „Nur dank unserer sehr langen Bindungen können wir dort noch in der notwendigen Form und zu akzeptablen Preisen produzieren lassen.“ Die Lage ist so angespannt, dass Unternehmen mit solchen Lieferantenbeziehungen derzeit auch bei ihrer direkten Konkurrenz in Europa ganz hoch im Kurs stehen. Inzwischen scheuen sich die Wettbewerber nicht mehr anzufragen, ob die gut vernetzten Manager ihre Verbindungen nach China angesichts der schwierigen Lage nicht ausnahmsweise auch einmal für die Konkurrenz spielen lassen könnten. Ökonomen betrachten die Streiks in der Automobilindustrie und die stark steigenden Preise in der Textilfertigung als Ausdruck eines tiefgreifenden Strukturwandels in China. „In China passiert nun das, was sich in Amerika in den 50er und 60er Jahren zutrug: Die Ostküste lebte damals von der Schuh- und Textilfertigung. Als sich die Wirtschaft entwickelte, mussten Hersteller erst weiter ins Land hineinziehen und sich danach ins billigere Ausland verlagern. Heute ist die Ostküste Amerikas ein Technikzentrum. Das wird mit der Ostküste Chinas auf Dauer genauso passieren“, sagt Anil Gupta, Professor an der Wirtschaftshochschule Insead in Singapur.
Den Modefirmen bleiben nur drei Möglichkeiten - oder die Mixtur aus allen. Profitierten sie und ihre Kunden in den Industrieländern bislang von den niedrigen Löhnen in Chinas Fabriken, müssen sie nun die Preissteigerungen weiterreichen, künftig mit niedrigeren Margen leben lernen oder aber sich nach neuen Standorten umsehen. Glücklich kann sich heute schätzen, wer im China-Boom der vergangenen Jahre seine Verbindungen nach Indonesien, in das traditionelle Textilland Asiens, nicht hatte abreißen lassen. Auch Vietnam gewinnt noch weiter an Gewicht. Damit lässt die Textilindustrie ihre Probleme aber nicht hinter sich: Denn auch hier treffen die Auftraggeber meist auf chinesischstämmige, gut vernetzte Unternehmer, die die Branche bestimmen. Oder aber die Nähfabriken entpuppen sich als Tochterfirmen chinesischer Konzerne. „Die alle haben schon Witterung aufgenommen. Wir sind ganz sicher, dass auch in diesen Ländern die Löhne und Preise nun sehr schnell steigen werden“, sagt Bezner.
Als Alternative böten sich dann nur noch Produktionsstandorte an, die bislang allenfalls dritte Wahl sind: Kambodscha etwa, Laos oder Bangladesch. Hier aber stimmt oft schon die Infrastruktur nicht, so dass die in der Modebranche so entscheidenden Lieferzeiten kaum noch einzuhalten sind. Beispiel Bangladesch: Aufgrund der Unterversorgung mit Strom müssen die Firmen hier wie auch in Indien Arbeitszeiten von Wochentagen auf das Wochenende verlegen. Dann ist das Netz weniger ausgelastet. Auch besitzen diese Länder keine eigene Zulieferindustrie; Reißverschlüsse oder Knöpfe müssen aus China zugekauft werden - zu steigenden Preisen. Asiatische Hersteller beklagen, dass beispielsweise in Kambodscha die Mitarbeiter zu unzuverlässig seien.
Die Arbeiter werden sich ihres Wertes bewusst
Ein führender vietnamesischer Textilhersteller hat seine Fabriken deshalb dort inzwischen wieder geschlossen und konzentriert sich nun darauf, in seinem Heimatland vom Abebben des China-Booms zu profitieren. Über die höchste Hürde indes spricht niemand gern: Die westlichen Hersteller fürchten zu Recht, dass viele dieser „neuen“ Fertigungsstandorte in Europa einen schlechten Ruf genießen. Kunden scheuen vor dem Kauf von Textilien etwa aus Kambodscha zurück, weil sie das Land immer wieder mit Kinderarbeit in Verbindung bringen. Eine Zertifizierung, gar das Ändern des Images aber sind zeitraubende, teure Vorhaben. Auch sie werden die Preise für die Herstellung weiter treiben.
So oder so werden auch zwischen Bangladesch und Kambodscha die Löhne steigen. Stefanie Elies, Direktorin des Regionalbüros Asien der Friedrich-Ebert-Stiftung in Singapur, kann dies nur bestätigen. Seit Jahren arbeitet die Stiftung mit Textilarbeitern in Asien - und kreidet zu niedrige Löhne an. „Einige Gewerkschaften in Kambodscha haben eine Steigerung der Grundlöhne von 67 auf 93 Dollar avisiert“, sagt sie. Entwicklungspolitiker unterstützen diese Forderung: „Nur ein solcher Lohn würde den Textilarbeiterinnen erlauben, ein bescheidenes Leben zu führen, kleine Rücklagen zu bilden und abhängige Familienmitglieder zu unterstützen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist all dies kaum möglich“, sagt Elies. Sorge herrscht allerdings davor, dass für das Anheben des Grundlohns die für die Arbeiter wichtigen Überstunden schlechter bezahlt würden. Ein solches Verhalten könnte die Margen der Fabrikanten sogar über eine gewisse Zeit steigern, da sie dank höherer Löhne Preissteigerungen durchsetzen können, an verdeckter Stelle aber sparen.
In Bangladesch kostet eine gute Näherin etwa 3700 Taka (44 Euro) im Monat. Schon jetzt aber streben die Gewerkschaften 5000 Taka an. Im Vergleich mit China ist das immer noch billig: Shenzhen, das Industriezentrum im Süden der Volksrepublik, hat zu Anfang Juli den Mindestlohn um 10 Prozent auf 1100 Yuan (132 Euro) heraufgesetzt. Auch die Arbeiter in Bangladesch kennen solche Werte. Und sie wissen sie zu nutzen. Ende Juni streikten auch schon die Textilwerker in mehr als 300 Bekleidungsfabriken einer Industriezone nahe der Hauptstadt Dhaka in Bangladesch. Von hier kommt die Mode für Weltmarken wie Marks & Spencer, Wal-Mart, Hennes & Mauritz oder Carrefour. Nach Angaben der Polizei bauten Tausende von Arbeitern Barrikaden, Autos wurden angezündet. Mehr als einhundert Menschen wurden verletzt. Unser Mann liest die Nachrichten auf seinem Blackberry. Einen weiteren Anschlussflug aber kann er nicht buchen. Wohin auch sollte er fliegen? |
Chinas, Faden, seidenen, 汇报, 法兰克福, Chinas, Faden, seidenen, 汇报, 法兰克福, Chinas, Faden, seidenen, 汇报, 法兰克福
|