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Tibet und das Elend des Secondhand-Journalismus
Es ist sehr schwer, die Ereignisse zu rekonstruieren, wenn man die Darstellungen offensichtlicher Propagandamedien nicht berücksichtigt - Von Jens Berger
"Was ist Wahrheit? - Drei Wochen Pressearbeit, und alle Welt hat die Wahrheit erkannt. Ihre Gründe sind so lange unwiderleglich, als Geld vorhanden ist, sie ununterbrochen zu wiederholen." (Oswald Spengler)
Die ganze Welt schaut momentan mit Verachtung auf China, und der Boykott der Olympischen Spiele wird offen angedacht. Ähnlich wie bei der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste der buddhistischen Mönche in Myanmar im letzten Jahr, steht der Schuldige an der Eskalation und der Gewalt anscheinend fest. In den Köpfen der Medienkonsumenten schwirrt die Vorstellung, die chinesische Soldateska hätte friedliche Proteste tibetischer Mönche mit Gewalt niedergeschlagen. Dabei sollen über 100 Tibeter den Kugeln der in die Menge feuernden Besatzer zum Opfer gefallen sein - ein Massaker!
Diese Darstellung entspricht im Wesentlichen den Versionen der tibetischen Exilanten in Nordindien und des amerikatreuen Radiosenders "Free Asia". Beide Versionen werden in den Medien immer wieder gerne zitiert - freilich ohne zu erwähnen, dass beide Quellen nicht eben neutral sind. Aber was ist eigentlich am Wochenende im tibetischen Lhasa passiert, das die Weltöffentlichkeit derart schockiert hat, dass Peking am Pranger steht?
Es ist sehr schwer, die Ereignisse zu rekonstruieren, wenn man die Darstellungen der beiden Konfliktparteien und offensichtlicher Propagandamedien - wie "Radio Free Asia" - nicht berücksichtigt. Die seriösesten Quellen sind in diesem Falle Korrespondenten angesehener Zeitungen, die direkt vor Ort waren und nicht "Informationen" aus zweiter oder dritter Hand wiedergeben. Direkt vor Ort war der Korrespondent des britischen Economist, und seine Schilderungen weichen in entscheidenden Punkten von der Version der meisten Berichterstattungen, die sich auf Informationen aus zweiter und dritter Hand stützen, deutlich ab.
Ausgebrochen sind die gewaltsamen Proteste, als Gruppen von meist jungen Tibetern sich zusammengerottet haben und mit Pflastersteinen und Betonbrocken in die Gassen der Altstadt von Lhasa zogen und die Schaufenster chinesischer Geschäfte einwarfen. Auch (ethnische) Chinesen, die nicht schnell genug fliehen konnten, wurden mit Steinen beschmissen - darunter auch Kinder, Fahrradfahrer, Taxifahrer und Busreisende.
Die meisten Chinesen haben daraufhin ihre Geschäfte geschlossen und sind geflohen. Daraufhin wurden die Geschäfte von den tibetischen Demonstranten geplündert und einige wurden in Brand gesteckt. Es ist wahrscheinlich, dass auch einige Chinesen in ihren Geschäften verbrannten. Der Korrespondent wurde auch Zeuge einer Szene, in der ein kleiner chinesischer Junge, in Todesangst vor dem Mob, Schutz bei einem tibetischen Mönch suchte, den er gerade interviewte.
Die chinesischen Sicherheitskräfte haben sich nach den Angaben des Economist-Korrespondenten zurückgehalten und sich auf passive Abwehrmaßnahmen beschränkt. Rettungskräfte und Feuerwehr wurden ebenfalls von den Demonstranten angegriffen, so dass mit Beginn der Nacht die Feuerwehrwagen von gepanzerten Militärfahrzeugen eskortiert wurden, in denen bewaffnete Soldaten saßen. Von Schüssen auf Demonstranten ist dem Korrespondenten nichts bekannt.
Diese Version der Geschichte teilt auch der Zeit- und taz--Korrespondent Georg Blume, der als einer der letzten ausländischen Journalisten Tibet verlassen musste.
Heute hat mir ein Tibeter per Mail geschildert, wie er die Aufstände beobachtet hat:
Er konnte die Szenerie sehr genau beschreiben, brachte seinen ganzen Hass auf China zum Ausdruck - wie unmöglich sich die Chinesen aufführen, wie sie die Tibeter ökonomisch und religiös unterdrücken. Der nahm sich kein Blatt vor den Mund. Trotzdem sagte er: Die chinesischen Polizisten haben nicht geschossen am vergangenen Freitag, dem Ausbruch und vorläufigen Höhepunkt der Unruhen. Er vermutete, dass unter den Toten vor allem Chinesen waren, die in ihren Läden verbrannt sind.
Im Moment können wir einfach nicht belegen, wer für die Toten am Freitag verantwortlich ist. Auch ich hielt am Anfang die Militärpolizei für schuldig. Zumal die ganze Stadt voller Uniformierter ist, da liegt der Schluss natürlich sehr schnell nah, dass scharf geschossen wurde.
Je öfter ich aber mit Zeugen der Unruhen rede, desto unwahrscheinlicher scheint mir das und desto öfter muss ich an Aldous Huxley denken: "Die größten Triumphe der Propaganda wurden nicht durch Handeln, sondern durch Unterlassung erreicht. Groß ist die Wahrheit, größer aber, vom praktischen Gesichtspunkt, ist das Verschweigen von Wahrheit"
Wenn man sich diese Schilderungen anschaut, so fragt man sich auch unwillkürlich, warum in den Medien nie das Wort Pogrom zu hören ist. Stattdessen spricht man in den Medien lieber von "anti-chinesischen" Protesten.
Angesichts dieser Vorkommnisse fällt es auch schwer, Solidarität mit den Tibetern zu empfinden. Natürlich haben die Ausschreitungen nicht den tibetischen Anspruch auf Autonomie diskreditiert. Aber mit uneingeschränkter Unterstützung können die "Free Tibet" Aktionen nicht rechnen, so lange sie sich nicht eindeutig von diesen Gewaltaktionen distanzieren.
Tibet ist nicht Myanmar und die jungen zornigen Tibeter sind nicht die friedlichen Mönche aus Yangon. Natürlich sollte China endlich den Dialog mit dem Dalai Lama eröffnen, um eine Verbesserung der Situation in Tibet für die Tibeter und die dort lebenden Han-Chinesen zu erwirken. Bei aller berechtigter Sorge um die kulturelle Identität sollte man aber auch nicht die chinesischen Menschen in Lhasa vergessen, die vom aufgebrachten Mob umgebracht wurden. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.3.2008) |
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