Militärtechnologie
Chinas Massenarmee wandelt sich zur Hightech-Truppe Von Markus Becker http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,676549,00.html
Tarnkappenflugzeuge, U-Boote, Anti-Satelliten-Waffen und sogar ein eigener Flugzeugträger: China modernisiert seine Streitkräfte in enormer Geschwindigkeit. Schon bald könnte die militärtechnologische Überlegenheit der USA wanken.
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Die Parade zum 60. Jahrestag der Staatsgründung bestand nicht nur aus militärischem Pomp. Die Volksrepublik China beging ihr Jubiläum mit einer veritablen Technologie-Show: Nicht weniger als 52 neue Waffensysteme führten die Machthaber in Peking der Weltöffentlichkeit im vergangenen Oktober vor. Und auf allen stehe "Made in China", verkündete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua stolz.
Bisher war Chinas Militär vor allem wegen seiner Größe gefürchtet: Mit rund 2,3 Millionen aktiven Soldaten verfügt das Land über die zahlenmäßig stärkste Armee der Welt. Hinzu kommen rund 6700 Panzer, 7400 Artilleriesysteme, 2300 Kampfflugzeuge, 75 größere Kriegsschiffe und sechs Atom-U-Boote, wie der aktuelle Jahresbericht des US-Verteidigungsministeriums über Chinas militärische Fähigkeiten auflistet. Außerdem verfügt China nach unterschiedlichen Schätzungen über etwa 140 einsatzfähige Atomwaffen.
Im Mittelpunkt des Papiers steht allerdings ein anderer Aspekt: die technologische Aufrüstung Pekings, die für die Streitkräfte der USA eine Herausforderung darstelle - und zwar ausgerechnet im Bereich der Hightech-Kriegsführung, der Domäne der Amerikaner.
Bisher war die Strategie der chinesischen "Massenarmee" auf lange Abnutzungskriege zu Lande ausgerichtet, heißt es in dem Pentagon-Papier. Derzeit aber finde ein "umfassender Wandel" statt - hin zu einer Streitmacht, "die kurze, intensive Konflikte an Chinas Grenzen gegen einen hoch technisierten Gegner kämpfen und gewinnen kann". Das liest sich wie die Blaupause für einen möglichen Angriff auf Taiwan, das von Peking als abtrünnige Provinz und von den USA als Verbündeter betrachtet wird.
Wirtschaftsbeziehungen keine Garantie für Frieden
"Die engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen China und den USA sind keine Garantie dafür, dass es in der Zukunft keine Konflikte geben wird", sagt Gudrun Wacker, China-Expertin bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Für das amerikanische Verteidigungsministerium ist China in der Zukunft der wahrscheinlichste Konkurrent und Gegner."
Dass die Möglichkeit eines weniger friedlichen, aggressiv expandierenden Chinas zumindest existiert, lassen die jüngsten Meldungen aus Pekings Waffenlabors befürchten. So habe China etwa in neue Technologien zur Kriegführung im Internet und im Weltraum investiert und sein nukleares Arsenal modernisiert. Kürzlich wurde auch bekannt, dass die Chinesen die Interkontinentalrakete des Typs DF-21 erfolgreich in eine Waffe gegen Flugzeugträger verwandelt haben sollen, bestückt mit einem konventionellen Sprengkopf.
In US-Militärkreisen hat das für einige Aufregung gesorgt. Das U.S. Naval Institute (USNI) etwa sprach von einer "beträchtlichen neuen Bedrohung" für amerikanische Kriegsschiffe. Der Sprengkopf der DF-21 sei groß genug, "um einen Flugzeugträger mit einem Schlag zu versenken". Ihr ausgefeiltes Steuerungssystem mache die DF-21 auf ihrem Kurs unberechenbar, ihre geringe Größe für Radar schwer auffindbar, und bei einer Geschwindigkeit von Mach 10 könne sie ihre maximale Reichweite von 2000 Kilometern in weniger als zwölf Minuten hinter sich bringen.
Zwar ist es eine große technische Herausforderung, einen Flugzeugträgerverband auf hoher See zu orten, und in dieser Hinsicht hat China nach Ansicht von Fachleuten noch einigen Aufholbedarf. Allerdings baue das Land derzeit ein Netzwerk aus Satelliten, Radar und Drohnen auf, das bewegliche Ziele aufspüren und deren Bekämpfung mit ballistischen Raketen ermöglichen könne, warnt das Pentagon.
Inzwischen, so das USNI, habe die US-Marine unter Hochdruck Verteidigungsmaßnahmen gegen ballistische Raketen entwickelt. Der Militärexperte Raymond Pritchett schrieb in einem Blog des Instituts von einem "radikalen Kurswechsel" und gar von Panik bei der U.S. Navy. "Wenn ein großer Militärapparat aufgrund eines neuen Waffensystems in Panik verfällt, bedeutet das entweder, dass die Bedrohung wahrhaftig existiert oder dass die Marineführung wahrhaftig unqualifiziert ist." Pritchett tippt darauf, dass Ersteres zutrifft. SWP-Expertin Wacker ist ähnlicher Meinung: "Die Modernisierung des chinesischen Militärs ist in erster Linie auf ein Taiwan-Szenario ausgerichtet."
Chinesen machen ersten Flugzeugträger einsatzbereit
Die ballistische Anti-Schiff-Rakete ist nicht die einzige Novität in Chinas Streitkräften. Peking will auch seine U-Boote modernisieren, die unter Wasser derzeit in etwa so laut sein sollen wie sowjetische U-Boote der siebziger Jahre. Die Kronjuwelen jeder Marine aber sind Flugzeugträger, und auch die will sich Peking zulegen. Laut dem Pentagon-Bericht will China bis 2020 mehrere eigene Flugzeugträger und Begleitschiffe bauen. Entsprechende Vorhaben existierten spätestens seit 2006. Den ersten Träger aus fremder Produktion könnten die Chinesen schon 2012 in See stechen lassen, glaubt SWP-Experte Lange.
Dabei handelt es sich um den sowjetischen Flugzeugträger "Warjag", der in den achtziger Jahren vom Stapel lief, aber nie ganz fertiggestellt wurde. Die Chinesen haben das Schiff 1998 gekauft und in die Heimat schleppen lassen - angeblich wollte ein chinesischer Unternehmer den 305 Meter langen Koloss im Hafen von Macau als schwimmendes Casino betreiben. Doch dazu kam es nicht. Inzwischen liegt die "Warjag" im Hafen der nordostchinesischen Stadt Dalian - frisch gestrichen in Kriegsschiff-Grau.
Die Farbe sowie die zahlreichen Umbauten sind nur einige von vielen Indizien, dass die Chinesen das Schiff mit Antrieb, Elektronik und Waffensystemen versehen. "Dass der Flugzeugträger kommt, steht fest", sagt Sascha Lange, Militärtechnikexperte bei der Berliner SWP, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Alles andere wäre hanebüchen angesichts der Summen, die die Chinesen bereits investiert haben."
Auch ein chinesisches Kampfflugzeug mit Tarnkappeneigenschaften befindet sich in der Entwicklung, glaubt man Berichten von Fachblättern wie "Jane's Defence Review". Immer wieder tauchen Informationen über den mysteriösen Jet mit der Bezeichnung J-13, J-14 oder J-XX auf. Dass die Chinesen mit Stealth-Technologie experimentieren, ist schon seit Jahren kein Geheimnis mehr: Im Herbst 2006 präsentierten sie auf einer Luftfahrtausstellung im eigenen Land eine Tarnkappendrohne. Das mattschwarze, scharfkantige "Dark Sword" ("Dunkles Schwert") sieht genauso martialisch aus, wie sein Name klingt.
Im April 2009 berichtete das US-Fachblatt "Aviation Week", dass die chinesische Marine von dem nächsten Kampfflugzeug unter anderem Supercruise-Eigenschaften verlange - also die Fähigkeit, ohne Nachbrenner längere Zeit mit Überschallgeschwindigkeit zu fliegen, so wie es die aktuellen westlichen Kampfflugzeuge können. Auf diese Weise können Kampfjets in kurzer Zeit weit entfernte Ziele erreichen - eine vorzügliche Eigenschaft, wenn der potentielle Gegner ein US-Flugzeugträgerverband auf dem offenen Meer ist.
Der letzte angebliche Coup der Chinesen in Sachen Stealth-Technologie fand vor knapp einem Jahr statt: Crackern soll der Diebstahl großer Mengen an geheimen Daten über das US-Kampfflugzeug F-35 gelungen sein. Der auch als "Joint Strike Fighter" bekannte Tarnkappenjet befindet sich in der Testphase und soll ab 2012 an die US-Streitkräfte ausgeliefert werden. China wurde verdächtigt, in den Diebstahl verwickelt gewesen zu sein, auch wenn Peking dies abstritt. Auch Pentagon und der F-35-Hersteller Lockheed Martin bestritten, dass wichtige Daten geklaut worden seien.
Neue Atomrakete mit bis zu 12.000 Kilometern Reichweite
Auch die nuklearen Streitkräfte Pekings könnten noch in diesem Jahr eine entscheidende Stärkung erfahren. Beobachter vermuten, dass in den nächsten Monaten die neue Interkontinentalrakete des Typs DF-41 ausgeliefert wird. Sie soll technisch auf der bereits bekannten DF-31 basieren, allerdings eine dritte Stufe besitzen und damit bis zu 12.000 Kilometer weit reichen. Damit könnte China erstmals auch mit Land-gestützten Raketen jeden Punkt in den USA mit Atomwaffen erreichen.
Das alles verschlingt ungeheure Summen. Zwischen 1989 und 2009 hätten sich Chinas Militärausgaben nahezu verzwanzigfacht, heißt es im Pentagon-Bericht. Zugleich wird die Volksbefreiungsarmee schlanker - derzeit findet nach Angaben der Federation of American Scientists eine Reduzierung um 500.000 Mann statt. Offiziell beziffert Peking seinen Wehretat für 2009 auf rund 70 Milliarden Dollar (51 Milliarden Euro). Hohe Ausgaben in den Bereichen strategische Fähigkeiten und Raumfahrt seien aber nicht in diese Angaben eingeflossen, heißt es in einer Abhandlung, die SWP-Mitarbeiter Lange gemeinsam mit Kollegen vergangenes Jahr veröffentlicht hat. "Über den tatsächlichen Zustand der chinesischen Streitkräfte sagen die offiziellen Haushaltszahlen deshalb nur wenig aus."
Das Pentagon schätzt, dass bereits 2008 die tatsächlichen Militärausgaben zwischen 105 und 150 Milliarden Dollar lagen. Pekings Wehretat sei damit schneller gewachsen als die Wirtschaft des Landes insgesamt. Damit verfügt China über den zweitgrößten Militärhaushalt der Welt - liegt aber immer noch weit hinter den USA, die 2008 mehr als 600 Milliarden Dollar in ihre Streitkräfte investierten. Das entspricht rund 40 Prozent der globalen Militärausgaben - oder den gemeinsamen Ausgaben aller Staaten, die auf den Plätzen zwei bis 15 der Militärausgaben-Rangliste folgen.
Doch trotz der rasanten Fortschritte, die China in den vergangenen Jahren militärtechnologisch gemacht hat, ist der Abstand zu den USA nach wie vor groß. "Die Chinesen sind inzwischen nahe an der Weltklasse, aber die letzten fünf Prozent sind die schwierigsten", sagt Lange. Insbesondere beim Einsatz großer, komplexer Systeme und beim Zusammenspiel unterschiedlicher Waffengattungen verfügten die Amerikaner über weit mehr Know-how und Erfahrung als die Chinesen.
China schießt mehr Trägerraketen ins All als die Europäer
Allerdings holt Peking schnell auf. In Sachen Weltraumtechnologie etwa ist China schon längst kein Entwicklungsland mehr. Laut Lange hat Peking seit Anfang 2003 nicht weniger als 56 Trägerraketen ins All geschossen. Die Europäer kommen im gleichen Zeitraum auf 35 Starts. Nebenbei haben die Chinesen auch ein eigenes bemanntes Raumfahrtprogramm gestartet, während Europa in dieser Hinsicht noch immer aufs Mitfliegen bei Amerikanern und Russen angewiesen ist. Die Chinesen können im All auch destruktiv tätig werden, wie sie Anfang 2007 mit dem Abschuss eines eigenen, veralteten Wettersatelliten demonstriert haben.
Die Modernisierung von Chinas Militär dürfe man nicht nur als Provokation der USA sehen, betont SWP-Expertin Wacker. Inzwischen verfolge Peking auch andere Ziele, die sich zunehmend weit jenseits der Grenzen der Volksrepublik befinden. Ein wichtiger Aspekt ist etwa der Schutz von Schifffahrtsrouten. So werden rund 80 Prozent des Rohöls, das China für sein wirtschaftliches Wachstum dringend benötigt, durch die nicht als besonders sicher geltende Straße von Malakka transportiert.
Zudem sieht auch die US-Regierung die Chance, China zunehmend in die internationale Zusammenarbeit einzubinden. Zwar denke Peking zunehmend über eine expansive Rolle der Volksbefreiungsarmee nach, schrieb US-Geheimdienstekoordinator Dennis Blair in seinem letzten Jahresbericht über die Bedrohungslage gegen die USA. Allerdings seien auch humanitäre Einsätze und Missionen zur Friedenssicherung darin enthalten - "so wie es Chinas Großmachtstatus angemessen ist", so Blair.
Ein neuer Kalter Krieg, so wie er sich zwischen den USA und der UdSSR abgespielt hat, hält Wacker schon wegen der viel engeren wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den USA und China für kaum denkbar. Zudem seien auch keine Anzeichen dafür zu erkennen, dass die Amerikaner versuchten, China nach klassischem Muster klein zu halten. "Wäre das ihr Ziel", sagte Wacker, "dann hätten sie in den vergangenen Jahren einen wirklich schlechten Job gemacht."
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