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http://www.zeit.de/2009/39/01-Frankfurter-Buchmesse
Frankfurter BuchmesseDie Hosen voll
Eklat vor der Frankfurter Buchmesse: Ein bisschen mehr Mut gegenüber Chinas Zensoren dürften die Gastgeber schon zeigen
© Patrick Sinkel/ ddp
Einechinesische Delegation mit dem ehemaligen Botschafter Chinas inDeutschland, Mei Zhaorong (M.) auf dem Symposium im Institut Cervantesin Frankfurt am Main
Es könnte die spannendste Buchmesse seit Langem werden. China ist indiesem Jahr das Partnerland auf dem Frankfurter Messegelände. Und wieexplosiv die nicht nur literarische Begegnung mit der neuen Supermachtwerden kann, hat sich schon am vergangenen Wochenende gezeigt.
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Da keilten die Repräsentanten des offiziellen Chinas bei einemVorbereitungssymposium so heftig gegen die deutschen Veranstalter, dassdiese nicht nur die Nerven, sondern auch die Haltung verloren. In einemAkt vorauseilenden Gehorsams luden sie zwei Dissidenten, die siezunächst nach Frankfurt eingeladen hatten, wieder aus, nur um sie amEnde dann doch verzagt auf die Bühne zu bitten, worauf Pekingsangereiste Funktionäre beleidigt aus dem Saal zogen.
Buchmessenchef Jürgen Boos meinte sich für den Auftritt der Autorinund Umweltaktivistin Dai Qing und des im amerikanischen Exil lebendenDichters Bei Ling entschuldigen zu müssen und machte damit alles nurnoch schlimmer. Denn nun kehrten Pekings Vertreter zwar in den Saalzurück, nicht aber, ohne den Deutschen eine Lektion zu erteilen. »Wirsind nicht gekommen, um uns in Demokratieunterricht belehren zu lassen,diese Zeiten sind vorbei«, herrschte der ehemalige chinesischeBotschafter in Deutschland, Mei Zhaorong, seine Gastgeber an.
Aus- und wieder eingeladen:
© Patrick Sinkel/ ddp
Die Umweltaktivistin Dai Qing und der chinesische Regimekritiker Bei Ling
Es ist ein Ton, auf den man sich in der Diskussion mit Chinaeinstellen muss, ohne sich allerdings daran gewöhnen zu dürfen. Undschon gar nicht, ohne klar und deutlich zu widersprechen. Die alt-neueWeltmacht birst vor Selbstbewusstsein. Bei den Olympischen Spielen imvergangenen Jahr hat sie ihren Nationalstolz pompös in Szene gesetzt.Die damalige Prachtentfaltung hat viele im Westen befremdet, aberinsgeheim auch beeindruckt. Und ein wenig verängstigt. Das große China– drückt es uns alle an die Wand?
Oder ist es unsere Rettung? In der Bankenkrise hat daskommunistische Regime nach den Amerikanern das zweitgrößteInvestitionspaket geschnürt und damit kräftig geholfen, daskapitalistische Finanzsystem vor dem Untergang zu bewahren. Auffallend,wie die neue US-Außenministerin Hillary Clinton, auf Besuch in Peking,plötzlich das Thema Menschenrechte vermied. Es gebe mit ChinaWichtigeres zu besprechen, ließ sie wissen. Realpolitik ist so.
Aber wenn man nicht gerade die Weltwirtschaft retten muss, sondernnur ein Frankfurter Symposium, dann kann man schon ein bisschen mehrCourage zeigen. Messechef Boos nannte die Buchmesse zu Recht einen»Marktplatz der Freiheit«. Doch dann buckelte er, dass es zum Erbarmenwar.
»Man kann nicht kämpfen, wenn die Hosen voller sind als das Herz«,hat Carl von Ossietzky gesagt. Und der hatte es mit den Nazis zu tun,nicht mit blassgesichtigen chinesischen Kulturfunktionären. Kämpfen,ein bisschen jedenfalls, muss man schon, wenn einem der »Marktplatz derFreiheit« anvertraut ist.
China wird im Übrigen den Teufel tun, wegen zweier Dissidenten seineTeilnahme an der Buchmesse abzusagen. Aus der Chinaschelte im Westenund ihrer Zurückweisung aus Peking ist ja inzwischen ein Ritualgeworden. Der Streit bleibt indes grundsätzlich: Wie viel Freiheitgestattet China seinen Bürgern? Und nützt es, wenn wir uns einmischen?
Eigentlich ist die Zeit über die Hardliner längst hinweggegangen
Es nützt, sofern sich die Einmischung nicht in Protestroutineerschöpft; wenn es Offenheit für neue Argumente gibt und dieBereitschaft zur ernsthaften Auseinandersetzung. Hinter den Kulissengibt es all das längst. Eine Generation junger Wissenschaftler,Schriftsteller, Künstler, Journalisten und Diplomaten istherangewachsen, die Freude hat an der Debatte und sie eindrucksvollbeherrscht. Eigentlich ist die Zeit hinweggegangen über Altfunktionärewie den Exbotschafter Mei Zhaorong, der mit seinen larmoyantenHardliner-Tiraden schon manches deutsch-chinesische Gespräch vergiftethat.
Für die Demokratie muss gestritten werden, auch mit Diktaturen, diesich gern in das Tuch einer fremden Kultur hüllen. Voltaire irrte, alser schrieb: »Dass wir die chinesischen Riten so gründlichmissverstehen, kommt nur daher, dass wir ihre Praktiken im Lichtunserer eigenen beurteilen, denn in unserer streitsüchtigrechthaberischen Art messen wir die ganze Welt an unseren Vorurteilen.«
Rechthaberisch sind wir bisweilen, ganz gewiss. Aber Streit musssein. Weil in China noch immer zu viele Menschen für dieMeinungsfreiheit ins Gefängnis gehen. Das Mindeste, was wir tun können:der Kontroverse ein Forum zu bieten. So wie vom 14. bis 18. Oktober inFrankfurt. Dort stehen Diskussionen über »Meinungsfreiheit – Freiheitdes Wortes – Freiheit der Veröffentlichung« oder über »Nachrichten ausdem ›Reich des Bösen‹?« zum Chinabild der deutschen Medien auf demProgramm. Wunderbar!
Soll das offizielle China doch über unseren »Demokratieunterricht«wüten! 140 chinesische Schriftsteller werden in Frankfurt zu Gast sein,darunter viele wache und kritische Geister. Sie wissen genau, dass dieeigene Regierung in Sachen Demokratie Nachhilfeunterricht braucht.Nicht vom Westen, schon gar nicht von uns Deutschen, sondern von deneigenen Bürgern. Frankfurt kann daher nur eine Ersatzbühne sein. Bisder demokratische Streit in China selbst geführt werden kann, am bestenauf einer Pekinger Buchmesse.
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