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"Chinas Modell ist Versuch und Irrtum"
John und Doris Naisbitt (in Lhasa, Tibet): "Phantastischer Marketing-Effekt für Google"
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John und Doris Naisbitt (in Lhasa, Tibet): "Phantastischer Marketing-Effekt für Google"
China wird längst nicht mehr von Kommunisten regiert: Davon sind John und Doris Naisbitt überzeugt. Das Bestseller-Autorenpaar, das seit Jahren im Land lebt, spricht im SPIEGEL-ONLINE-Interview über Demokratie, Google - und lobt die heutige Volksrepublik als erfolgreiche Konkurrenz zum westlichen Modell.
SPIEGEL ONLINE: Google ist offenbar dabei, sich aus China zurückzuziehen - mit der Begründung, es habe Hacker-Attacken gegeben, außerdem wolle man nicht mehr bei der Zensur von Suchergebnissen mitmachen. Ist das sinnvoll?
John Naisbitt: Google hat einen Vertrag gebrochen. Um eine Lizenz zu bekommen, haben sie eingewilligt, bestimmte Suchanfragen nicht zuzulassen. Und jetzt, vier Jahre später, sagen sie: "Wir machen nicht mehr mit, weil wir gehackt worden sind." In Russland sind die Hacker viel aggressiver und zahlreicher, aber da sagt Google nichts. Dort haben sie einen großen Marktanteil, in China nicht. Sie brechen ihren Vertrag und schieben die Schuld jemand anderem in die Schuhe. Jack Ma, der Gründer von Alibaba.com pflegt zu sagen: "Verlierer haben immer eine Entschuldigung."
SPIEGEL ONLINE: Sie glauben also, Googles Protest ist eine PR-Aktion?
Doris Naisbitt: Wir können das nicht mit Sicherheit sagen, aber ein Geschenk ist es in jedem Fall! Was für einen phantastischen Marketing-Effekt das für Google hat - der David zu sein, der gegen Goliath kämpft.
John Naisbitt: Angenommen, es ist eine PR-Nummer - dann hätte sie kaum erfolgreicher sein können. Denn nun stellt sich die US-Außenministerin Hillary Clinton, ohne Verständnis für die Vertragssituation, auf Googles Seite und macht das Internet zu einem Thema der US-Außenpolitik. Was nicht schlecht ist, aber trotzdem: Das Ganze fängt mit einer Vertragsstreitigkeit an und endet damit, dass die Außenministerin zur Google-Sprecherin wird.
SPIEGEL ONLINE: Ist die chinesische Regierung überhaupt darauf ausgelegt, auf Druck von außen zu reagieren - egal ob von einer anderen Regierung oder einem Unternehmen wie Google?
John Naisbitt: Sie ist darauf ausgelegt, Druck von außen zu widerstehen. Sie können es überhaupt nicht leiden, herumgeschubst zu werden. Sie können es nicht leiden, dass Google es aussehen lässt, als ob es ihr Fehler wäre, obwohl doch Google die Sache angezettelt hat. Ich glaube, sie sind wirklich sauer. In China unterschreibt man nie etwas, wenn man ein Geschäft abschließt, man gibt sich nur die Hand. Alles basiert auf Vertrauen. Aber wenn man das Vertrauen enttäuscht, ist man erledigt. Dieser Vertrauensbruch ist für die Chinesen eine sehr ernste Sache.
SPIEGEL ONLINE: Also geht es hier im Kern um einen kulturellen Konflikt?
John Naisbitt: Hillary Clinton fährt nach China. Bei den Menschenrechtlern zu Hause wird sie heftig kritisiert, weil sie ihre Themen nicht anspricht. Jetzt gibt ihr Google eine Chance, sich reinzuwaschen, indem sie sich in der Zensurfrage auf ihre Seite stellt. Für die USA ist das alles also höchst politisch. Aber für die Chinesen ist es ein kulturelles Thema.
SPIEGEL ONLINE: Eine Kernthese Ihres Buches "Chinas Megatrends" ist, dass China ein politisches System entwickelt hat, das nun mit westlichen Demokratien konkurriert. Wie meinen Sie das?
Doris Naisbitt: Im westlichen Mehrparteiensystem wird Macht durch Wahlen legitimiert. Partei A versucht, Partei B schlecht aussehen zu lassen, und umgekehrt. Es ist ein ständiges Tauziehen. In China überlegt die Regierung und entscheidet dann. Auch dort wird diskutiert, da arbeiten sehr intelligente Leute, gebildet und gut ausgebildet. Sie legen ein Ziel fest. Dann ziehen alle an einem Strang, um einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen die Menschen sich bemühen können, dieses Ziel zu erreichen. Der große Vorteil ist: Wenn die Regierung unsicher ist, ob etwas funktionieren wird, kann sie eine Sonderzone einrichten, um es auszuprobieren.
John Naisbitt: Versuch und Irrtum. Da läuft das größte experimentelle Programm, das die Welt je gesehen hat. Die Chinesen haben ein wunderbares Sprichwort: "Den Fluss überqueren, indem man die Steine ertastet." Sie versuchen unterschiedliche Sachen, Initiativen von der Basis her, sehr dezentral. Was funktioniert, wird übernommen, was nicht funktioniert, verworfen. Es gibt viele Beispiele für Initiativen von unten, die von der Führung akzeptiert und dann in Vorschriften fürs ganze Land umgewandelt werden. Es ist eine beratende Demokratie.
Doris Naisbitt: Nehmen sie die Debatte über die Gesundheitsreform in den USA. In China hätte man das einfach in einem kleinen Teil des Landes ausprobiert. Aber in westlichen Demokratien geht das nicht.
SPIEGEL ONLINE: In Deutschland ginge es schon aufgrund der Verfassung nicht - Ungleichbehandlung in einem so fundamentalen Bereich, nur aufgrund des Wohnorts, das erlaubt unser Grundgesetz nicht.
Doris Naisbitt: Die Chinesen würden nicht von Ungleichbehandlung sprechen. Sie würden sagen: "Wenn es funktioniert, bekommen wir das auch. Und wenn nicht, trifft es nur die." Im Westen ist die Legitimation der Regierenden der Gewinn einer Wahl. In China sind es die erreichten Ergebnisse.
SPIEGEL ONLINE: Und was ist an diesem Prozess demokratisch?
John Naisbitt: Was bedeutet denn Demokratie? Herrschaft des Volkes. In China reagiert man jedenfalls auf die Bedürfnisse des Volkes. Sie müssen das nicht glauben. Aber eine Studie des amerikanischen Pew-Instituts hat ergeben, dass die chinesische Regierung 89 Prozent Zustimmung bekommt in ihrem Land. Es gibt dort viel Freiheit, Offenheit. Unternehmer und Künstler lieben das. Die Energie, die das freisetzt, ist in China mit Händen zu greifen.
SPIEGEL ONLINE: Im Westen wird China weniger als "beratende Demokratie" gesehen, sondern eher als eine korrumpierte Version des kommunistischen Systems, in der die Mächtigen gelernt haben, kapitalistische Strukturen zu ihrem Vorteil auszunutzen.
Doris Naisbitt: Und das passiert durchaus. In manchen Provinzen gibt es vielleicht lokale Machthaber, die ihre Macht zum eigenen Vorteil missbrauchen. Aber die Zentralregierung arbeitet fieberhaft dagegen an. Wir haben in unserem Institut chinesische Medien ausgewertet. Die meistbehandelten Themen sind Korruption und die Umwelt. Chinas Journalisten sind überwiegend in den Zwanzigern. Diese Generation betrachtet ihr Land äußerst kritisch. Auf der einen Seite sind sie sehr stolz auf China, andererseits sind sie kritisch und sprechen Probleme an. Und es wird ihnen zunehmend gestattet, das auch sehr direkt zu tun.
SPIEGEL ONLINE: Ohne Angst vor Repressalien?
Doris Naisbitt: Sie hätten schon Angst, einen Artikel zu veröffentlichen mit dem Inhalt: "Wir wollen die Regierung stürzen." Das ist eine rote Linie, die man nicht überschreitet. Aber sehr wenige Chinesen wollen die Regierung tatsächlich stürzen. Das ist eine Fehlwahrnehmung im Westen.
John Naisbitt: Das größte Problem, das wir im Westen haben, ist die Überzeugung, dass da drüben immer noch die kommunistische Partei regiert. Den Namen haben sie behalten - aber das sind keine Kommunisten. China ist ein Land ohne jede Ideologie. Es gibt keinen Kapitalismus, keinen Kommunismus, nur ein pragmatisches, schrittweises Vorgehen um eine neue, erfolgreiche Gesellschaft zu schaffen.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch erwähnen sie, dass Chinas früherer Staatschef Jiang Zemin Sie einmal gebeten hat, doch ein Buch wie ihren Bestseller aus den Achtzigern, "Megatrends" über China zu schreiben. Zehn Jahre später haben Sie dann Ihr Institut in Tianjin gegründet, nun dieses Buch veröffentlicht. Was antworten Sie Kritikern, die sagen, China habe sie gekauft, um im Westen PR für die Regierung zu machen?
Doris Naisbitt: Wirtschaftlich wäre es viel lohnender gewesen, ein Anti-China-Buch zu schreiben. Da gibt es keinen finanziellen Anreiz.
John Naisbitt: Wir haben ein Institut, das wir selbst finanzieren. Wir nehmen kein Geld von der Regierung, und sie bietet uns auch keines an. Unser Institut ist eine unabhängige Einrichtung. Wir haben zwar wunderbare Räumlichkeiten in der Tianjin University, aber nur weil man dort glaubt, dass das der Universität nutzt, um Studenten anzuziehen und so weiter - gegenseitiger Nutzen. Aber wir bekommen von niemandem Geld.
Das Interview führte Christian Stöcker |
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