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Erst verkaufte die westliche Industrie ihre Automobile und Maschinen in den Schwellenmärkten. Dann verlagerte sie die Fertigung in Billigfabriken. Nun entwickelt sie vor Ort Produkte, die auf die Armen in China oder Indien zugeschnitten sind. Denn die sind ein riesiges Käuferpotential.
17. Juli 2010
Der Herzschlag-Monitor für Ungeborene könnte den Durchbruch bringen: Indische Entwickler in Diensten von Siemens arbeiten an dem Gerät, dass so einfach und billig werden soll, dass ihn sich jeder Dorfarzt leisten kann. „Wenn wir ihn gut hinbekommen, haben wir einen Markt von Millionen von Abnehmern vor uns: Regierungen und Hilfsorganisationen könnten Interesse zeigen, Arztpraxen könnten ihn an Bedürftige ausleihen“, sagt Armin Bruck, der Siemens-Chef von Indien. Viele Mütter im dörflichen Indien merken gar nicht, wenn es ihren Babys im Mutterleid schlecht geht. Der nächste Arzt ist Dutzende Kilometer entfernt. Ein leicht zu bedienender Monitor könnte Leben retten. „Ein solches Produkt wäre auch für andere Schwellenländer wie China oder Brasilien interessant“, sagt Bruck.
Bruck, Siemens-Chef Löscher und ihre Leute sind nicht unter die Samariter gegangen. Aber sie treiben einen Trend voran: Auf den Export von Maschinen oder Autos aus Deutschland folgte die Verlagerung der Produktion ins Ausland, um von den dortigen Kosten zu profitieren. Nun schwillt die dritte Welle an: Die Unternehmen treiben die Entwicklung marktgerechter Produkte vor Ort voran.
Vielleicht das beste Beispiel für den neuen Ansatz bietet der Gesundheitssektor: Hier liegt Indien weit hinter Afrika zurück. „Indien fehlen 6000 Krankenhäuser, um wenigstens zu Afrika aufzuschließen“, sagt Bruck, Landeschef von Siemens auf dem Subkontinent. Damit sich aber etwas ändert, müssen preiswerte Angebote her. „Entweder wir befreien deshalb unsere vorhandenen Produkte von allem, was nicht wirklich notwendig ist. Oder aber wir lassen genau auf den jeweiligen Markt zugeschnittene Waren vor Ort entwickeln von Ingenieuren, die ihre Konsumenten kennen, fertigen sie hier vor Ort und verkaufen sie auch hier“, sagt Bruck. Wie etwa ein einfaches, aber wirksames Röntgengerät, das Vielleicht das beste Beispiel für den neuen Ansatz bietet der Gesundheitssektor: Hier liegt Indien weit hinter Afrika zurück. „Indien fehlen 6000 Krankenhäuser, um wenigstens zu Afrika aufzuschließen“, sagt Bruck, Landeschef von Siemens auf dem Subkontinent. Damit sich aber etwas ändert, müssen preiswerte Angebote her. „Entweder wir befreien deshalb unsere vorhandenen Produkte von allem, was nicht wirklich notwendig ist. Oder aber wir lassen genau auf den jeweiligen Markt zugeschnittene Waren vor Ort entwickeln von Ingenieuren, die ihre Konsumenten kennen, fertigen sie hier vor Ort und verkaufen sie auch hier“, sagt Bruck. Wie etwa ein einfaches, aber wirksames Röntgengerät, das die Münchner in Indien entwickelt haben.
Die Ingenieure müssen ihre Konsumenten kennen
„Am Anfang stand die importierte Maschine. 2001 begannen wir sie hier in Bombay zu bauen, das hat 30 Prozent der Kosten gespart“, erzählt Bruck. „Der nächste Schritt folgte 2008, als wir sie bei uns vollständig neu entwickelt haben - das sparte 70 Prozent der Kosten.“ Da keinerlei Kompromisse bei der Qualität akzeptiert würden, liege Siemens mit seinem Röntgengerät für Indiens Durchschnittskrankenhäuser immer noch 7 Prozent über dem Preis der lokalen Wettbewerber – aber das lasse sich verschmerzen. „Heute verkaufen wir das Gerät in 30 Märkten der Erde, einschließlich China.“ Der Strategieschwenk klingt einleuchtend. Selbst wenn kostengünstig vor Ort produziert wird, kann sich bislang nur die Spitze der Einkommenspyramide in Indien oder Brasilien, China oder Indonesien die für den europäischen Markt entwickelten Waren leisten. Anders gesagt: Wegen zu anspruchsvoller Produkte, zu hoher Preise, lassen die europäischen Hersteller Massen von Kunden links liegen. Die Lösung kann nur heißen, die Produkte auf die Bedürfnisse von Indern oder Chinesen zuzuschneiden. Deshalb verlagern sie – noch schleichend eher und von der Öffentlichkeit in der Heimat kaum bemerkt – immer größere Anteile ihrer Forschung und Entwicklung in die Schwellenländer. Das ist billiger. Und es bringt marktgerechte Produkte hervor, nahe an den Kunden.
Die Bayer AG erforscht hochwertige Kunststofffolien für Mobiltelefone oder Fernseher in Singapur. Deren Markt liegt zu fast 70 Prozent in Asien. Fast 3000 Menschen hat Bosch seit Jahresbeginn in Asien eingestellt, die Zahl der Entwickler steigt ständig. In Singapur treibt der schwäbische Weltkonzern die Forschung in seinem neuen Regionalzentrum voran. In Indien haben schwäbische und indische Ingenieure das Innenleben des Tata Nano entwickelt, des Symbols der Bewegung zum Kleinprodukt.
Ein deutscher Automobilhersteller hätte es solches Auto nie zu denken gewagt. Die Ingenieure aber haben viel gelernt. Gerade eröffnete Forschungsministerin Annette Schavan in der Tropenmetropole die erste Dependance der Fraunhofer-Gesellschaft, Inbegriff deutscher Spitzenforschung. Interaktive, digitale Medien wollen Deutsche und Asiaten hier entwickeln. Volkswagen arbeitet in China und Indien an einem einfachen Kleinstwagen für Schwellenländer.
„Die Inder wollen keine Lkw im deutschen Sinn, sondern robuste, preiswerte Kutschen“
Unterdessen erprobt der Kosmetik-Konzern L'Oréal in seinen weiß gekachelten Labors in Bombay Shampoos, die eben nicht den Odeur französischer Parfums besitzen, sondern den Duft von Kokosöl – verlockend, für die im Slum groß gewordenen Käuferinnen. Im indischen Chennai lässt Daimler ein aus aller Welt zusammengesetztes Team eine Serie von Lastwagen für die Schwellenländer entwickeln. „Die Inder wollen keine Lkw im deutschen Sinn, sondern robuste, preiswerte Kutschen“, sagt Testingenieur Jochen Mast in breitem Schwäbisch. Sonst an kurzer Leine geführt, dürfen die Mercedes-Entwickler hier ihrer Phantasie freien Lauf lassen. So kommen Ideen auf, wie der Bau nur eines Chassis: Die Inder könnten auf den Mercedes-Unterbau dann ihre eigene Holzkabine schrauben. Der Stern bekäme eine ganz neue Anmutung. Die Käufer wären ganz andere als bislang. Geld aber würde gleichwohl nach Stuttgart überwiesen.
Die Wünsche der neuen Mitte verblüffen kaum: 6 Prozent der Stadthaushalte in China besitzen schon ein Automobil. Mehr als die Hälfte verfügen über einen Computer. 97 Prozent nennen eine Waschmaschine ihr eigen. Statistisch betrachtet kommt jeder dieser Haushalte auf mehr als ein Mobiltelefon und Farbfernseher. Diese neue Mittelschicht wird an ihrem Boden für Aufsteiger durchlässiger: Spekulieren lässt sich in Bombay auch mit einer Hütte in einem Slum. Kleinkredite treiben die Selbstständigkeit voran, insbesondere von Frauen. Schon ein Handy genügt dem Fischer in der Bucht von Bengalen, seinen Fang zum richtigen Markt zu bringen und den angemessenen Preis zu verlangen.
Bis hin zur Packungsgröße orientiert sich die westliche Industrie nun an ihrem neuen Kundensegment. Wer nur ein paar hundert Yuan oder Rupien im Monat hat, verlangt Waschmittel in Rationen, deren Kauf seine Haushaltskasse nicht sprengt. Also gibt es die Pulver nun in Minipäckchen für jede einzelne Wäsche. Von Indien bis zu den Philippinen lässt sich das höherwertige Produkte nur in kleineren Einheiten an die Hausfrau bringen.
„Niemand zahlt für eine Eigenschaft eines Produktes, die er nicht benötigt“
In Manila kaufen diejenigen, die nur wenig Geld haben, in den Sari-Sari-Shops an jeder Straßenecke für ein paar Pesos Bratöl, Waschpulver oder Süßigkeiten per Tingi – als abgepackte Tagesration. Die Ladenbesitzer machen es den Konzernen vor: Nun laden sie auch die Mobiltelefone ihrer Kunden auf. Und das in Größenordnungen von nur 20 Pesos (35 Eurocent). In diesem Marktsegment zählt nur eines: der Preis“, gibt sich Bruck keinen Illusionen hin. „Niemand zahlt Ihnen da auch nur einen Cent für eine Eigenschaft eines Produktes, die er nicht benötigt.
Bei Siemens geht die Idee, sich nach unten zu öffnen, auf den ehemaligen Vorstand Klaus Wucherer zurück. Weltweit sieht Siemens einen Markt von rund 850 Milliarden Euro für sich, davon rund 150 Milliarden Euro Umsatzpotential in China und Indien. Darin enthalten aber sind am unteren Ende der Nachfragepyramide weitere 240 Milliarden Euro in den Taschen derjenigen, die nicht viel haben.
Diesen Schatz wollen die Münchner nun heben. „Bislang haben wir uns in Indien mit unseren Produkten vor allem an das Spitzensegment gewandt, das etwa 30 Prozent des Marktes ausmacht. Darunter schlummern aber 70 Prozent Volumen, die vor allem von indischen Unternehmen mit indischen Produkten bedient werden“, bläst Bruck zum Angriff. Den Umsatz mit neuen Basisprodukten will er innerhalb einer Dekade verzehnfachen.
Asiatische Unternehmen arbeiten sich in höherwertige Marktsegmente vor
„Heute machen wir mit diesen Produkten in Indien erst 100 Millionen Euro Umsatz, 2020 sollen es eine Milliarde Euro sein“, gibt er die Richtung vor. Das wäre in etwa soviel, wie Siemens heute insgesamt auf dem Subkontinent umsetzt (Geschäftsjahr 2009: 1,3 Milliarden Euro). Die Hälfte des Umsatzes im neuen Segment sollte aus dem Export in anderen Schwellenländern wie China, Brasilien oder Russland stammen.
Bislang hat Siemens in Indien acht Angebote für die neu ausgemachte Zielgruppe entwickelt. Weitere sechs sollen in diesem Jahr folgen. Gleichzeitig würden rund 40 neue Ideen geprüft. Dazu zählen Entwicklungen für Signalanlagen für die Eisenbahn, Bauteile für Kraftwerke, Dampfturbinen und Teile für die Windindustrie. „Jedes neue Produkt dieser Art kostet im Schnitt 20 Millionen Entwicklungskosten“, sagt Bruck.
Zeitgleich arbeiten die Siemens-Entwickler auch in anderen Schwellenländern an ähnlichen Ideen: China etwa hat schon knapp 20 Produkte in Arbeit, 50 weitere sind in Planung, die Ländergesellschaften in Brasilien und Russland folgen. Letztlich sollten viele der Ideen ausgetauscht werden, auch wenn einzelne Waren auf den jeweiligen Markt angepasst werden müssen. „Wir haben überhaupt keinen Berührungsängste“, sagt Bruck. Bei preiswerten Anlagen für den Stahlsektor arbeiten die Siemens-Leute aus China und Indien schon zusammen.
Letztlich rüsten sich die westlichen Konzerne mit ihrer neuen Strategie auch für einen erwarteten Angriff der Konkurrenz: Denn schrittweise arbeiten sich die asiatischen Unternehmen sowohl in höherwertige Marktsegmente wie auch nach Europa vor. So wie es schon bei Automobilen, bei Stereoanlagen, Fernsehern oder Kühlschränken, die alle aus Fernost und immer öfter von dort heimischen Herstellern kommen, die Regel ist, wird es für alle Technik-Bereich werden.
„Auf lange Sicht werden wir viele indische Unternehmen haben, die in unseren ureigenen Marktsegmenten und Märkten gegen uns antreten“, ist sich der Siemens-Chef sicher. Auch deswegen wollen die Konzerne aus dem Westen in die Offensive gehen: Es gilt, die neuen Riesen aus den Schwellenländern in deren Heimatmärkten anzugreifen. |
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