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[科技] Strafjustiz: Der Untergang des Sachverstands

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发表于 2009-6-29 03:32 | 显示全部楼层 |阅读模式
http://www.zeit.de/2008/49/PS-Rechtspsychologie?page=1


Strafjustiz: Der Untergang des SachverstandsVon Sabine Rückert | ©                        DIE ZEIT, 27.11.2008 Nr. 49

In Berlin soll die einzige Professur für Rechtspsychologie abgeschafft werden – mit verheerenden Folgen für die Strafjustiz
Was geht im Gehirn eines Verdächtigen vor? Die Psychologie kann Antwort geben
© Wolfgang Sischke/ZEIT Grafik

Auch beim »Holzklotzprozess« wird es nicht ohne denRechtspsychologen gehen. Das Landgericht Oldenburg muss in diesen Tagenklären, ob es tatsächlich der Angeklagte Nicolas H. war, der das sechsKilogramm schwere Pappelstück am Abend des vergangenen Ostersonntagsvon einer Autobahnbrücke auf einen fahrenden Pkw fallen ließ und damiteine Frau tötete.
Als der rauschgiftsüchtige H. von der Polizei festgenommen wordenwar, hatte er zunächst ein Geständnis abgelegt. Später widerrief erseine Aussage mit der Begründung, er habe bei der Vernehmung unterEntzugserscheinungen gelitten und deshalb alles Gewünschte zugegeben.Was die Wahrheit ist, Geständnis oder Widerruf, soll jetzt im Auftragdes Gerichts der bekannteste Aussageanalytiker Deutschlands, derRechtspsychologe Max Steller, herausfinden.
Steller ist Wissenschaftler am Institut für Forensik der BerlinerCharité und der einzige deutsche Professor für Rechtspsychologie. Beiden Gerichten gilt er in Fragen der Aussage- undGlaubhaftigkeitspsychologie als kompetentester Fachmann im Land. 1999beriet er als Sachverständiger den Bundesgerichtshof bei derEntwicklung von Standards für Glaubhaftigkeitsgutachten, die denInstanzgerichten helfen sollen, gute von schlechten Gutachten zuunterscheiden.
Auch in vielen spektakulären Strafprozessen spielten StellersExpertisen eine entscheidende Rolle, so in den berühmten »WormserProzessen«, bei denen in den Jahren 1994 bis 1997 ganzen Familienaufgrund falscher Aussagen schwerster Kindesmissbrauch vorgeworfenworden war. Alle 24 Angeklagten wurden schließlich freigesprochen, eineweitere Angeklagte war in der Untersuchungshaft verstorben. Auch beimVergewaltigungsprozess gegen den TV-Moderator Andreas Türck, der imSommer 2005 vor dem Landgericht Frankfurt am Main stattfand, trugSteller zur Klärung der Schuldfrage und zum Freispruch des Angeklagtenbei.
Die Bedeutung der forensischen Glaubhaftigkeitsgutachten wächstunentwegt. Opferentschädigungsstellen, die sich nicht sicher sind, obsie es mit echten Opfern zu tun haben, suchen den Sachverstand desRechtspsychologen ebenso wie Familiengerichte, die entscheiden müssen,ob sie ein Kind aufgrund bestimmter Vorwürfe in Obhut nehmen lassen.
Vor allem aber setzen Staatsanwaltschaften und Strafgerichte auf dieAussageanalyse. Mehr als 150 Anfragen erreichen Steller und seineMitarbeiterin Renate Volbert mittlerweile pro Jahr – weit mehr, als diebeiden bewältigen können. Die Strafjustiz will wissen, ob Zeugen, diejemanden eines Mordes oder einer Sexualstraftat beschuldigen,wissentlich oder unwissentlich lügen, möglicherweise von interessiertenDritten beeinflusst worden sind oder die Wahrheit sagen.

In ihren Expertisen decken die Sachverständigen immer wiederFalschaussagen auf und verhindern so, dass Unschuldige verurteiltwerden. Weit häufiger jedoch verhelfen sie tatsächlich Geschädigten zuihrem Recht. Auf die Unterstützung von Aussagepsychologen sind vorallem jene Verbrechensopfer angewiesen, die selber hilflos sind:Kinder, die missbraucht wurden; minderbegabte Frauen, die vergewaltigtwurden; psychisch Kranke, die einem Verbrechen zum Opfer fielen, derenBerichte aber zunächst als Fantasiegespinste abgetan wurden.
Umso härter trifft es die Opfer, die Strafjustiz und damit die ganzeGesellschaft, dass die Professur von Max Steller nun auf derEinsparungsliste steht. Mit seiner Pensionierung soll auch die StelleEnde März 2009 ersatzlos gestrichen werden. Das Berliner UniklinikumCharité kann die Professur nicht mehr bezahlen, und seine Mutter, dieFreie Universität Berlin, sieht bislang keinen Grund, die Verantwortungfür diese Wissenschaft zu übernehmen. Dabei wird die Bedeutung derRechtspsychologie für die Rechtssicherheit im Land ganz offensichtlichunterschätzt.
Natürlich kann man die Frage stellen, warum ein forensisches Fach,das vor allem den Strafverfolgungsbehörden unverzichtbare Diensteleistet, von einer Universität finanziert werden soll. Dazu muss manFolgendes wissen: Die forensischen Wissenschaften wie dieGerichtsmedizin und die damals noch zu ihr gehörendeKriminalpsychiatrie wurden in den zwanziger Jahren ganz bewusst aus derStrafjustiz herausgelöst und den Hochschulen angegliedert. Dahintersteckte die Erkenntnis, dass ein abhängiges Fachgebiet dem Druck ausder Strafjustiz weit weniger widerstehen kann als eine selbstbewusste,auf Autonomie bedachte Universitätsdisziplin.
Eine der Justiz unterworfene Wissenschaft wird im Laufe der Zeit aufeine Legitimationsfunktion herabgewürdigt. Der abhängigeSachverständige wird sich mehr und mehr den Vorgaben der Richter beugenund dazu neigen, deren Einschätzung (oder gar jene der Polizei) zubestätigen. Wo die Schuldfrage eines Angeklagten von der Abwägung undInterpretation des Sachverständigen abhängt, ist die Gefahr,»gewünschte Ergebnisse« zu erzielen und damit Justizirrtümer zuproduzieren, sehr groß. Deshalb sind die Rechtsmedizin, dieKriminalpsychiatrie und auch die ihr verschwisterte Rechtspsychologiebei den Universitäten gut aufgehoben.
Die deutschen Gerichte nehmen die aktuelle Bedrohung der kleinenRechtspsychologie nicht schweigend hin: Der Präsident des BerlinerLandgerichts wandte sich an den Präsidenten der Freien Universität mitder Bitte, er möge all seinen Einfluss ausüben und derStellenstreichung »nach Kräften entgegentreten«.
Und der Vorsitzende des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs,Clemens Basdorf, forderte die Berliner Justizsenatorin auf, sich imInteresse der Allgemeinheit der Tilgung der Berliner Rechtspsychologiezu widersetzen: Deren Arbeit sei für die Gerichte »unverzichtbar«,schreibt er. Ihre »hohe Qualität« trage nicht selten dazu bei, dasslandgerichtliche Urteile vor dem Bundesgerichtshof Bestand hätten.


Sollten all die Appelle an die Freie Universität verhallen, wärendie Folgen landesweit gravierend: Die aussagepsychologische Forschungwird zusammenbrechen, es wird keine Diplomanden und Doktoranden indiesem Fach mehr geben und schließlich auch keine Experten. Das Themadürfte in den Masterstudiengängen der allgemeinen Psychologienotfallmäßig mitabgedeckt werden und nach und nach versickern.
Die Fragen werden bleiben. Doch Antworten gibt es bald nicht mehr
Die Fragen der Gerichte (zum Beispiel: »Ist das Geständnis des HerrnH. oder dessen Widerruf wahr?«) werden bleiben – doch die Gutachter,denen sie gestellt werden, haben keine fundierten Antworten mehr. DieZahl der unschuldig Verurteilten wird steigen, weil niedergelasseneaussagepsychologische Autodidakten auf den Markt drängen, die nichtmehr die Wahrheit im Blick haben, sondern die eigene Kasse.
Und über kurz oder lang wird es wieder Justizkatastrophen geben wiedie »Wormser Prozesse«, wo Sachverständige nach ihrem Bauchgefühlbeurteilten, wer die Wahrheit sprach und wer nicht. Solche Katastrophenkosten den Staat Millionen – die Professur von Max Steller kostetinklusive wissenschaftlicher Mitarbeiterin 160000 Euro im Jahr.
Wer lebensgefährlich erkrankt, geht nicht zum Allgemeinmediziner,sondern in die Universitätsklinik – dorthin, wo sich das Wissen übersein Leiden konzentriert. Die Gesellschaft leistet sich Professoren,die Zeit haben, komplexe Krankheiten zu erforschen und zu bekämpfen.Sollen unschuldig Angeklagte oder Vergewaltigungsopfer, denen niemandglaubt, künftig aus Kostengründen darauf verzichten müssen, dass ihreSache vor Gericht mit maximaler Kompetenz behandelt wird? Ihre Existenzist ähnlich vital bedroht wie die medizinisch Kranker, und ihre Not istsicher nicht geringer.
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