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发表于 2009-8-15 06:13
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Zu diesen Menschen zählt Helmut Refardt, ein hagerer Mann, der in einer Halle in einem Bremer Industriegebiet steht. Er wartet darauf, dass er etwas zu Essen bekommt. Darauf, dass er seine schwarze Sporttasche mit Konservendosen, Obst und Gemüse füllen kann – Spenden, die von der Bremer Tafel an Bedürftige ausgegeben werden. Jeden Dienstag reiht sich der 64-Jährige in die Warteschlange ein. Vor ein paar Jahren noch brauste er in einem Opel Omega mit Faxgerät durchs Land, er beaufsichtigte den Einbau von Panzerglas in Bankfilialen. Dann ging die Firma Konkurs, Refardt verlor seinen Job und wurde herzkrank.
Seit vier Jahren lebt er nun von Arbeitslosenunterstützung. Für Essen, Kleidung und seine kleine Wohnung bekommt er 725 Euro im Monat. »Das reicht hinten und vorne nicht«, sagt Refardt. Denn das verzwickte Sozialsystem mutet ihm allerlei kleine Ausgaben zu, die schnell zu großen Problemen führen. Etwa die Praxis- und Rezeptgebühren. Er bekommt sie zwar großteils erstattet, aber nur in Raten, jeweils dann, wenn er Quittungen über 45 Euro gesammelt hat. Im Moment ist jedoch sein Arzt im Urlaub, von dem er dafür noch eine Bescheinigung braucht. »Deshalb muss ich jetzt eine Woche auf mein Geld warten«, sagt Refardt. »Und wovon soll ich in der Zwischenzeit leben?«
Es ist paradox: Suppenküchen melden ständig steigende Besucherzahlen, die Betreiber berichten von Menschen, denen es am Nötigsten fehlt. Dabei gibt es Hunderte verschiedener Sozialleistungen. So viele, dass die Bundesregierung eine neue Chipkarte einführen will, um die Papierflut zu verringern, wenn jemand Kindergeld oder Elterngeld beantragt, Krankengeld, Wohngeld, Mutterschaftsgeld, Bafög, Arbeitslosengeld, Übergangsgeld oder Verletztengeld. Inzwischen ist die Zahl der Menschen, die von staatlichen Leistungen leben, ebenso groß wie die Zahl der Arbeitnehmer, die Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Ist das nun ein Zeichen von Not oder von großzügigen Sozialgesetzen? Beides. Der deutsche Sozialstaat ist allgegenwärtig, aber er ist nicht überall dort wirkungsvoll, wo er gebraucht wird.
Dass nicht allein die Armen, sondern vor allem die Mittelschicht vom Sozialstaat profitiert, hat in Deutschland Tradition. Otto von Bismarck plante Ende des 19. Jahrhunderts die Sozialversicherungen gegen Alter, Krankheit und Unfälle, um die Zustimmung der Arbeiterbewegung zu gewinnen. Später, in der Bundesrepublik, sah man die Umverteilung auch im Dienst der jungen Demokratie, als antifaschistischen Schutzwall sozusagen. Die Bürger sollten nicht zu viel Sympathie für Gleichheitsversprechen der DDR entwickeln. Und heute? Heute sagen Sozialpolitiker wie die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles offen, der Sozialstaat funktioniere besser, wenn fast jeder irgendwie profitierte. So sei die Mitte eher bereit, die Hauptlast der Finanzierung zu übernehmen.
Selbst professionelle Fürsprecher der Armen sehen das so. Ulrich Schneider zum Beispiel, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Früher hat Schneider den Sozialpolitikern vorgerechnet, wie viel Geld sie für die Falschen ausgeben. Das ist vorbei. »Die Politik hat das Angebot für Streichungen sofort akzeptiert und die Transfers für Familien trotzdem nicht erhöht«, sagt er. Deshalb ist aus Schneider ein Meister der Talkshows geworden, ein Armen-Lobbyist, einer, der »Knut für alle« fordert, wenn er kostenlose Zoobesuche für Arme will. Und der Missstände in den Schulen anprangert (»Unglaublich, jedes dritte Kind braucht Nachhilfe!«), wenn er vom Staat finanzierte Förderstunden für Kinder in Hartz-IV-Familien verlangt.
Schneider versucht, die Sozialpopulisten in den Parteien mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, damit sich die Bilanz des Sozialstaats irgendwann verbessert. Denn derzeit ist das Urteil vernichtend, das etwa Stephan Lessenich, Sozialforscher an der Universität Jena, fällt: »Der deutsche Sozialstaat ist viel zu teuer für das, was er leistet. Er wird ungerecht finanziert. Und er versagt beim Schutz vor großen Lebensrisiken, bei der Armutsbekämpfung, der Absicherung der Langlebigkeit, bei der Gesundheitsvorsorge.«
Barbara Lobitz wird vielleicht in einigen Jahren erblinden. Die Diagnose ist eindeutig, sie wurde in mehreren Vorsorgeuntersuchungen bestätigt. Jede einzelne hat 95 Euro gekostet, doch die Krankenkasse will die Kosten nicht übernehmen. Erst wenn die Krankheit, eine Veränderung der Netzhaut, voll eingetreten ist, werden Medikamente finanziert. »Dabei ist es ja keine Spinnerei von mir, dass ich die Untersuchungen habe machen lassen«, sagt die 66-Jährige Rentnerin. »Die Ärzte haben es mir dringend geraten, und nur weil ich die Diagnose habe, lässt sich vielleicht das Schlimmste verhindern.«
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